Cover des Buches Die Korrekturen (ISBN: 9783499255496)
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Rezension zu Die Korrekturen von Jonathan Franzen

Fünf Teile einer Familie

von Farbwirbel vor 8 Jahren

Rezension

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Farbwirbelvor 8 Jahren

Nachdem ich in diesem Jahr bereits 'Unschuld' von Jonathan Franzen laß und ziemlich begeistert war, wollte ich gern herausfinden, ob der Autor noch mehr für mich zu bieten hat. So kamen 'Die Korrekturen' also zu mir.

Es geht um die Familie der Lamberts. Enid und Alfred sind beide ein älteres Ehepaar, welches drei Kinder zeugte, von denen der Roman ebenso berichtet: Garry, Chip und Denise.

Da von jedem Lambert einzeln berichtet wird und aus seiner Perspektive über die Geschehnisse erzählt wird, scheint es sinnig, auf jeden einzeln einzugehen.

Zum Einen ist da Enid Lambert, die sich in jungen Jahren sehr in Alfred verliebte, wie sie jedoch zugeben muss, vorallem in sein Äußeres und seinen Stand als Ingenieur. Enid hat das heillose Talent, die Dinge, die um sie geschehen, so zu interpretieren, dass sie ihr gefallen. So arbeitet Chip für sie beispielsweise beim Wall Street Journal, doch eigentlich ist er ganz woanders beschäftigt. Es ist ulkig, aber auch traurig ihr dabei zu zusehen, wie sie ihr leben 'korrigiert'.

Sein Körper war es, wonach sie sich immer gesehnt hatte. Das Problem war der Rest von ihm. - S. 778

Alfred Lambert ist ehemals Ingenieur für einen Eisenbahnbetrieb gewesen, der kurz vor seiner Rente mit einem größeren fusionierte. Alfred ist schwer zu fassen, denn er kann sich selbst kaum noch fassen. Enids Ehemann leidet immer mehr unter seinem Alter, ist verwirrt und bewegt sich in eigenen Dunstschleiern der Vergangenheit. An sich war er mir sehr sympathisch, auch wenn seine Psychosen durchaus seltsam anmuteten.

„Essen und Ficken, Alter“, sagte der Anführer der Scheißhaufen, der sich jetzt nur noch mit einem Pseudosaugnapf aus fäkaler Mousse an die Wand klammerte, „darauf läuft's doch hinaus. Das ganze andere, und ich sag das in aller Bescheidenheit, ist pure Scheiße.“ - S. 397

Garry ist der älteste Sohn der Lamberts und mir direkt unsympathisch. Zwar ist er in den Rückblenden in seine Kindheit ein netter Junge, doch als Erwachsener macht er alles zu einem Kampf. Er kämpft gegen seine Frau Caroline, er kämpft dagegen an, seine Depression anzunehmen usw. Und zu guter Letzt weiß er alles besser und lässt das auch richtig raushängen.

Chip ist ein ziemlicher Taugenichts... Er studierte und war kurz vor einer Berufung als Professor, als er alles verdarb, an einem Drehbuch darüber verzweifelte und später mit einem dubiosen Litauer gemeinsame Sache macht. Die Episoden um ihn waren mir anfangs sympathisch, doch dann wurden sie mir zu skuril, wenn auch bereits hier ein ironischer Klang in Bezug auf das Internet zu spüren ist, den Franzen auch in seinem Werk 'Unschuld' anschlägt. Als spannend empfand ich Chip als Dozent, denn hier entspannten sich aufregende Diskussionen über den Poststrukturalismus, die ich selbst gern an meiner Universität gehabt hätte.

Denise ist Köchin. Sie bekommt ihre eigenen Episoden erst sehr spät in dem Roman, was ich persönlich etwas schade fand. Sie ist ein spannender Charakter, hat so etwas ähnliches, wie einen Ödipuslkomplex und ist sehr feinsinnig – eine gute Beobachterin.

Der Leser begleitet das Ehepaar Lambert von St. Jude, wo sie zuhause sind, nach New York. Dort besteigen sie einen Luxuskreuzer und machen eine 'skandinavische' Kreuzfahrt. Danach geht es dann um Weihnachten in St. Jude und wer denn nun alles kommen wird.

Der Menschheit war die Herrschaft über die Welt anvertraut worden, und sie hatte die Gelegenheit genutzt, um andere Arten auszulöschen und die Atmosphäre zu erwärmen und allgemein Verderben über alles irdische zu bringen; das allerdings war der Preis für ihre Privilegien: dass der endliche und spezifisch tierische Körper dieser Gattung ein Gehirn besaß, welches imstande war, das Unendliche zu denken und selbst unendlich sein zu wollen. - S. 642

Der Aufbau des Romans ist dem von 'Unschuld' ähnlich. Teilweise erstrecken sich die Kapitel über 200 Seiten, teilweise sind sie nur zehn Seiten lang. Meine gebundene Ausgabe umfasst 781 Seiten und ist somit ein ziemlicher Kawenzmann. Der Schreibstil von Franzen ist präzise, fast schon sezierend. Dieser Umstand machte mir im zweiten Drittel des Buchs wirklich Schwierigkeiten, denn alles wirkte auf einmal sooo lang. Leider. Etwas gestrafter, vielleicht 100 Seiten weniger und dieser irrwitzige Litauengeschichte herausgelassen, wäre es sicherlich ein großartiger Roman geworden.

So muss ich gestehen, dass mich das Buch nicht umhaute. Vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch, vielleicht liegt es aber tatsächlich an der manchmal zu genauen Beschreibung. An anderer Stelle mochte ich wiederum die Genauigkeit Franzens. Vermutlich ist es Geschmackssache, doch bei 'Unschuld' empfand ich es als kompakter.

Der eine oder andere schreckt womöglich vor der Länge des Romans zurück, andere vor teilweise sehr genauen, anzüglichen bzw. auch perversen Situationen. Ich für meinen Teil empfand es als Glaubhaft. Das einzige, was mir wirklich etwas irre vorkam, war das neue Medikament 'Korrektal', welches es emöglichen sollte, bestimmte Erinnerungen und Eigenschaften auszulöschen. Dies erinnerte mich stark an den Film 'Vergissmeinnicht' und überzeugte mich nicht.

Nichtsdestotrotz laß ich den Roman gern, wenn auch nicht über die Maßen gern.

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