ERKENNTNISSE UND APPELLE...
Drei technologische und mediale Megatrends bestimmten die frühen 2010er-Jahre: Smartphones, Social-Media-Plattformen und die Selfie-Kultur. Das Ergebnis: Eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen verwendete mehrere Stunden am Tag darauf, durch die Beiträge von Influencer:innen und mehr oder weniger fremden Nutzer:innen zu scrollen, statt sich mit Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld auseinanderzusetzen, mit ihnen zu spielen, zu sprechen oder auch nur Blickkontakt aufzunehmen. Die Mitglieder der Generation Z, die als Erste ihre Pubertät mit den neuen Medien in der Tasche durchlebten, wurden so zu Testpersonen für das Aufwachsen in einer radikal umgestalteten, zunehmend digitalen Umgebung. Die Folgen dieses Experiments waren, wie Jonathan Haidt auf Grundlage umfangreichen Datenmaterials zeigt, katastrophal – und sie betreffen auch die heute Heranwachsenden. Die schnellste und allumfassendste Neuverdrahtung menschlicher Beziehungen führte dazu, dass sich die mentale Gesundheit der Kinder und Jugendlichen rapide und dauerhaft verschlechtert hat. Dieser Entwicklung müssen wir jetzt entgegentreten: Haidt erklärt, was Regierungen, Schulen und Eltern tun können, um Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen. (Verlagsbeschreibung)
Der Autor stellt in diesem Buch klar, dass die weit verbreitete Nutzung von Smartphones die Hauptursache darstellt für den dramatischen Anstieg der psychischen Probleme der Generation Z. Smartphones verhindern nämlich die spielerische Art, mit der Kinder eigentlich die Welt erfahren sollten. Sie berauben sie wichtiger Erfahrungen, die eine gesunde, kognitive und emotionale Entwicklung fördern. Die Generation Z ist die erste Generation, die im Zeitalter ständiger digitaler Anbindung aufgewachsen ist, mit Smartphones, Social Media Hypes und Selfie-Wahn. Und eben jene Generation leidet heute stärker unter psychischen Problemen als jede andere vor ihr.
Seit 2010 gibt es unter Jugendlichen einen rasanten Anstieg bei psychischen Auffälligkeiten wie Angstzuständen, Depressionen, ADHS-Diagnosen sowie bipolaren Störungen. Selbstverletztendes Verhalten und die Selbstmordrate von Jugendlichen stiegen seither ebenfalls eklatant an. Jonathan Haidt sieht eindeutig den digitalen Wandel als Hauptursache dafür an. 2007 brachte Apple das erste Smartphone heraus. Seit 2010 haben sich Smartphones in Industrieländern wie den USA und Deutschland rasant verbreitet. Und sie haben radikal verändert, wie sich junge Menschen mit sich selbst und ihrer Umwelt auseinandersetzen.
Für den Autor deutet vieles darauf hin, dass die Smartphone-Nutzung und die allgegenwärtige Konnektivität (ständige Anbindung und Erreichbarkeit) die Hauptursachen für diese Flut an psychischen Erkrankungen sind. Smartphone & Co. verhindern lt. Haidt die normale Entwicklung des Kindes:
- das freie, unstrukturierte, ziellose Spiel - unabdingbar um zu lernen, miteinander zu kooperieren, Risiken abzuschätzen, Freundschaften zu schließen und die eigene Fantasie auszuleben -> Smartphone-Spiele sind zwangsläufig strukturiert und zielorientiert und bieten o.g. Möglichkeiten nicht
- die Interaktion mit Bezugspersonen und Gleichaltrigen - nur so lernen Kinder von klein auf, emotionale Signale zu deuten, sich abzuwechseln und soziale Bindungen aufzubauen, sich emotional zu regulieren und soziale Fähigkeiten zu entwickeln -> die Zeit am Smartphone verhindert zunehmend diesen so elementaren Austausch
- das soziale Lernen - Kinder schauen sich von Vorbildern ab, wie man sich am besten in sozialen Situationen verhält -> Jugendliche orientieren sich heute oft eher an fiktiven Online-Größen statt an realen Personen und bekommen so oft ein verschobenes Bild von Werten und erstrebenswerten Zielen
Laut Jonathan Haidt verursacht die Virtualisierung des Lebens im Wesentlichen vier Probleme:
- Soziale Deprivation - seit 2010 geht die Zeit, die Kinder mit ihren Freunden verbringen, immer mehr zurück, und die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit wird durch das Smartphone in der Hand auch noch häufig empfindlich gestört
- Schlafmangel - wer noch spätabends aufs Display schaut, der schläft erwiesenermaßen schlechter, und Schlafmangel wird mit diversen psychischen Problemen in Verbindung gebracht (u.a. Depressionen, Angstzustände, Aggressionen und gestörte Impulskontrolle)
- Fragmentierung (Zersplitterung) der Aufmerksamkeit - ständig eingehende Nachrichten und Klingeltöne auf dem Smartphone lenken vom eigentlichen Geschehen ab, Konzentration fällt schwer, eine tiefergehende Reflexion ist kaum noch möglich, Erscheinungen wie ADHS werden verstärkt
- Abhängigkeit - Smartphones und Apps sind bewusst so konzipiert, dass Nutzer so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen (z.B. durch Belohnungen wie Likes oder Kommentare)
Nachdem Haidt die Gefahren und Zusammenhänge aufgezeigt hat, sucht er auch nach konstruktiven Ansätzen, um diese negative Entwicklung aufzuhalten. Allerdings hatte dieser Bereich für mich eher einen appellativen Charakter. Damit sich junge Menschen auch im digitalen Zeitalter gesund entwickeln können, sollten z.B. Online-Unternehmen, Social-Media-Plattformen und Spieleentwickler sensibler mit den Bedürfnissen minderjähriger Nutzer umgehen, notfalls per gesetzlicher Anordnung. Kinder sollten wieder mehr Möglichkeiten erhalten, ohne Smartphone frei und unstrukturiert zu spielen, und eben auch mit anderen Kindern zu spielen, um sich im Sozialverhalten sowie im Lösen von Problemen und Konflikten zu üben. Haidt plädiert für smartphonefreie Schulen, eine Altersbegrenzung für soziale Medien (ab 16), und dass Eltern für jüngere Kinder strenge Grenzen für Bildschirmzeiten festlegen (z.B. nicht mehr als zwei Stunden pro Tag) - usw.
Technologien wie das Smartphone haben für alle Menschen eine gravierende Veränderung mit sich gebracht. Die Digitalisierung des Alltags ist ja auch aus dem Leben von Erwachsenen nicht wegzudenken. Kaum ein Gespräch, in dem nicht mindestens ein Teilnehmer "mal eben" aufs Handy schaut. Und genügend Eltern, die mit ihren Handys beschäftigt sind und dabei die Signale ihrer Kinder übersehen und überhören. Aber der massive negative Einfluss auf die Entwicklung unserer Kinder war mir vor der Lektüre in dem Ausmaß nicht klar. Daher für mich eine interessante Zusammenstellung der Risiken, die mich noch hellhöriger werden lässt.
Auch wenn das alles etwas einseitig dargestellt wird - die Zeiten sind unruhig, Krieg, Corona, die Klimakrise und auch die politische Entwicklung weg von wirklichen Demokratien u.v.m., all das verursacht bei den Jugendlichen ja sicherlich ebenfalls Angst und Bedrückung - ist dies in meinen Augen ein lesenswertes Buch, das hoffentlich noch zur rechten Zeit mahnt... Das sollte jedenfalls in unser aller Interesse sein...
© Parden