Cover des Buches 16:32 - Gegen die Zeit (ISBN: 9783401068077)
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Rezension zu 16:32 - Gegen die Zeit von Jonathan Lenz

Das Erdbeben ist beeindruckend, aber das Buch ... ?

von oszillieren vor 10 Jahren

Rezension

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oszillierenvor 10 Jahren


[Kleine Spoiler – aber der Handlungsverlauf ist sowieso spätestens ab Seite 15 voraussehbar.]

Zur Handlung:
Ein schweres Erdbeben erschüttert Los Angeles. Etliche Leute sterben, noch mehr werden verletzt, Chaos bricht aus, manche werden durch das Beben getrennt, andere zusammengeführt. Erzählt werden die Ereignisse aus den Blickwinkeln diverser Romanfiguren: Da gibt es z.B. den Comicfan vom Lande, die karrieregeile Lokalreporterin oder den eigentlich schon pensionierten Koordinator des Katastrophenschutzes. Im Mittelpunkt der Handlung steht der frisch verliebte Flugzeugnarr Matt, der in diesem Chaos versucht, seine Angebetete wiederzufinden.
Das Buch ist Action pur. Ständig fällt etwas in sich zusammen oder entgleist oder wackelt. Bedrohliche Visionen einer Wahrsagerin. Zarte Gefühle flackern auf im Angesicht des Infernos. Klischees. Schreiende Frauen. Tapfere Männer. Noch mehr Klischees.


Die Charaktere:
Sie wirkten auf mich prinzipiell nicht uninteressant, ich empfand sie als sympathisch. Der anfänglichen Charakterisierung wird aber nichts nachgeliefert und sie bleiben flach. Man könnte auch sagen, das Erdbeben wird realistisch beschrieben, die Menschen aber umso weniger.
Bezüglich der Charaktere gibt es drei Punkte, die mich besonders gestört haben:

1.
Zwei weibliche Teenager lernen im Vorfeld der Katastrophe jeweils einen Jungen kennen und „hängen“ sich augenblicklich an ihn. Sie geben innerhalb der ersten zwei Minuten ihre Lebensgeschichte preis, verhalten sich komplett offen, leutselig und vertrauensvoll. Sorry, so naiv sind Mädchen nicht, schon gar nicht in einer amerikanischen Großstadt. Auch wenn einem ein Junge spontan gefällt, lässt man ein Mindestmaß an Vorsicht walten.
Die Gespräche zwischen den Pärchen sind komplett unrealistisch. Ich meine, Abby wird fast von Matt überfahren, gibt sich dann selbst die Schuld und lädt ihn zum Kaffee ein? Das hübsche, redegewandte Mädchen ist auf den ersten Blick *so* fasziniert von dem schüchternen, nicht attraktiven, total durchschnittlichen Jungen, dass sie ihm zum Abschied gleich noch nen Kuss auf die Wange gibt? Einem Wildfremden? (Ach nee, Moment, sie kennen sich zu dem Zeitpunkt ja schon eine halbe Stunde—also komplett normal!!!11!)
Und der Cheerleader verliebt sich in den kindlichen Freak vom Land. Nicht böse gemeint, aber das klingt nach der Erfüllung von Jungsphantasien, und ich lese eben lieber realistischere Charaktere, die zumindest annähernd realistisch handeln. Aber okay. Ist ja ganz niedlich.
(Dass es zwischen Abby und Matt funkt, wunderte mich übrigens nicht, ich hatte damit gerechnet seit Abby zum ersten Mal erwähnt wurde. Bei so vielen Klischees ist natürlich klar, dass auch dieses nicht ausgelassen wird: Wo auch immer ein Mann und eine Frau in einem Actionplot zusammentreffen, entwickelt sich eine Romanze.)

2.
Zunächst: Es ist romantisch, dass Matt die ganze Stadt nach Abby durchkämmt, obwohl die Chance gering ist, sie in dem Chaos zu finden. Es wird glaubwürdig geschildert, dass sie ihm seit der ersten Begegnung etwas bedeutet. Was ich leider unglaubwürdig finde, ist, dass sie der einzige Mensch ist, um den er sich sorgt. Ich gebe zu, ich habe vergessen ob und wie viele Freunde/Bekannte Matt in Los Angeles hat. Und ich weiß auch, dass man, wenn man verliebt ist, diese eine Person einfach nicht aus dem Kopf bekommt und Freunde in den Hintergrund rücken können. ABER, im Fall so einer großen Katastrophe hoffe ich persönlich, dass ich nicht plötzlich alle Menschen aus meinem alltäglichen Umfeld vergesse, mich nicht nach ihnen erkundige, nicht versuche, etwas über ihren Verbleib herauszufinden und davonrase, um nach einem Mädchen zu suchen, das ich gerade erst kennengelernt habe.
Matt besitzt zwar gewisse Eigenschaften (fleißig, arbeitet auf dem Campingplatz, interessiert an Flugzeugbau, verknallt in Abby), wirkt aber darüber hinaus unecht, weil er keine „Vergangenheit“ hat.

3.
Binhs Abstammung wird anfangs so oft betont, dass es schon absurd ist. Noch peinlicher, wenn vom Autor betont wird, dass sie fließend amerikanisch/englisch spricht. ECHT? Ich dachte immer, alle Menschen, die „asiatisch“ aussehen, kommen aus China und sprechen nur chinesisch [/Sarkasmus]. Sorry, ich kann es nicht leiden, wenn so verkrampft und rückständig über Nicht-Weiße geschrieben wird.
Apropos: Es wird wortwörtlich gesagt, dass in Los Angeles mehr Latinos als Amerikaner leben. *facepalm* Lieber Autor, eine Menge Latinos *sind* Amerikaner. Sie sind so amerikanisch wie Barack Obama und Kim Kardashian, nur eben mit einem anderen Hintergrund. (In diesem Zusammenhang amüsant: Im Klappentext wird erwähnt, dass der Autor viel in den USA recherchiert hat. Ein Blick in den vierzeiligen Wikipedia-Eintrag zu „Latino“ hätte hier als Recherche gereicht. Es ist wirklich nicht schwierig.)


Und der Schreibstil? Hm, leider lässt sich auch darüber wenig Gutes sagen. Tut mir Leid, aber hier war kein Wortschmied am Werk, sondern jemand, der sich auf dem Niveau eines mittelmäßigen Deutsch-Leistungskurses verwirklicht hat.

Einen Pluspunkt gibt es für das Ende des Buches. Es klingt in einem angenehmen Tempo aus, macht eine herrlich spannende, aber dezente Andeutung, dass es eine Fortsetzung geben könnte und lässt die Figuren—wie am Anfang schon—in einem sympathischen Licht erscheinen. Auch wenn es insgesamt nicht mein Ding war, konnte ich das Buch wenigstens mit einem Lächeln zuklappen.

Fazit:
Da es auf irgendeiner Empfehlungsliste auftauchte, bin ich mit gewissen Erwartungen an „16:32“ herangegangen. Als Erwachsene wollte ich mit einem interessanten und spannenden Katastrophenroman entspannen. Mir ist es i.d.R. egal, ob ein Buch für Erwachsene oder Jugendliche geschrieben wurde, denn es gibt Gutes für jede Zielgruppe. Ich muss nun wieder einmal feststellen, dass „Jugendbuch“ oft jedoch nur ein Synonym ist für „ohne jeglichen Anspruch an Handlung, Charaktere oder Schreibstil“.

Wem eine actionreiche Handlung wichtig ist—und wirklich nichts anderes—dem sei dieses Buch empfohlen.
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