Eine Brooklyn Crime Novel
In seinem neuen Roman „Der Fall Brooklyn“ widmet sich Autor Jonathan Lethem den Geschehnissen und dem Leben rund um die berühmte Dean Street in Brooklyn – und das mit einer ganz eigenen und außergewöhnlichen Schreibweise.
Der Roman ist mit seinen 124 kurzen Kapiteln eine Aneinanderreihung von Kurzgeschichten – manchmal tauchen die Figuren, die oft namenlos sind, nur einmal auf, doch oft gibt es auch in späteren Kapiteln ein Wiedersehen und eine Fortsetzung der Geschehnisse. Manche Kapitel bestehen aus Erklärungen und Schilderungen - hier nimmt der Autor uns Lesende mit auf einen Streifzug durch die Dean Street und Umgebung. Einige Abschnitte sind Momentaufnahmen und stehen für sich alleine, doch manchmal sind Geschehnisse miteinander verbunden und ergeben doch noch ein größeres Bild.
„In dieser Geschichte geht es um das, was niemand weiß.
Sie spielt an einem Ort, von dem jeder glaubt, dass er ihn kennt. Aber niemand weiß etwas über diesen Ort oder hat jemals etwas gewusst.“ – Seite 15, eBook
Der Schreibstil ist zunächst gewöhnungsbedürftig – vieles wird kurz und knapp geschildert, doch gleichzeitig schafft es der Autor die Atmosphäre des Viertels sehr gut wiederzugeben. Ob es die Häuser, Geschäfte und die verschiedenen Straßen sind oder aber auch die unterschiedlichen Bewohner – man hat das Gefühl, hinter die Kulissen der Fassaden zu blicken und taucht in die Geschichten ein.
„Der Tag scheint keinen Zentimeter vorangekommen zu sein, die Luft nur leicht im Laub flirrend, die Gehsteige in Sonntagslicht gehüllt. Wie kann da so viel passiert sein?“ – Seite 61, eBook
Die Erzählungen sind oft in den 1960er bis in die 1980er Jahre angesiedelt. Einiges erstreckt sich auch bis in die Gegenwart ins Jahr 2019. Auch wenn der Autor zwischen den Zeitebenen hin- und herspringt, bleibt es dank den Überschriften mit den jeweiligen Jahreszahlen übersichtlich.
Die Geschichten scheinen zunächst willkürlich und zufällig aneinandergereiht – dieses wirkt anfangs manchmal etwas wirr. Doch wenn man sich einfach auf den besonderen Stil einlässt, taucht man schnell in die Kapitel ein – von Wohnungseinbrüchen und kleinen Gaunereien, von Träumen und Überleben bis hin zu einzelnen Lebenswegen und auch größeren Verbrechen – es gibt unzählige Momentaufnahmen von Menschen und ihrem Viertel, das sich über die Jahre verändert.
„Manche Nachmittage scheinen sich über Jahre hinzuziehen.“ – Seite 133, eBook
Mein Fazit: Ein außergewöhnlicher Roman, der in vielen kurzen Kapiteln einen detaillierten Einblick in das Leben rund um die Dean Street in Brooklyn gibt. Atmosphärisch dicht, gleichzeitig kurz und bündig und in seinem ganz eigenen Stil erzählt Jonathan Lethem einiges: Manchmal Momentaufnahmen aus dem Alltag mit Figuren, die nur einmal kurz am Rande auftauchen, andere trifft man im Laufe des Romans wieder. Einige lose Fäden verbinden sich, andere stehen für sich allein. Ein spezielles Buch, auf das man sich einlassen muss, aber gleichzeitig in seiner Gesamtheit irgendwie faszinierend ist. Ich empfehle es gern weiter.
Jonathan Lethem
Lebenslauf
Ein Verfächter der amerikanischen Pop-Kultur: Der 1964 in New York geborene Schriftsteller ist bekannt für seine gesellschaftskritischen Science-Fiction Romane. Zu Studienzeit fing er an erste Kurzgeschichten zu schreiben und zu veröffentlichen.
Doch erst mit seinem Debütroman „Gun with Occasional Music“ schaffte er seinen internationalen Durchbruch. Hierfür wurde er mit dem Nebula Award und dem Locus Award für den „Best First Novel“ ausgezeichnet.
Vor allem seine Vorliebe für amerikanische Pop-Kultur finden sich in seinen Inhalten sowie seinem Schreibstil wieder. Für seine Bücher wurde er mit zahlreichen Preisen wie dem 'National Book Critic‘s Award' und dem 'Gold Dagger' geehrt.
Er arbeitet als Professor für Creative Writing am Pomona College.
Neue Bücher
Alle Bücher von Jonathan Lethem
Motherless Brooklyn
Die Festung der Einsamkeit
Chronic City
Du liebst mich, du liebst mich nicht
Als sie über den Tisch kletterte (Trojanische Pferde, Bd. 8)
Der wilde Detektiv
Der Garten der Dissidenten
Der kurze Schlaf.
Neue Rezensionen zu Jonathan Lethem
„Der Stillstand“ von Jonathan Lethem ist ein postapokalyptischer Roman und spielt in einer neuen Ära der Menschheit.
Irgendwann in der näheren Zukunft hören mit einem Mal alle technischen Geräte auf zu funktionieren, der Stillstand ist eingetreten: Autos, Telefone, Internet, Industrie. Die Menschheit wird zurückgeworfen in eine vorindustrielle Zeit.
In dieser Welt hat sich auf einer Halbinsel in den Vereinigten Staaten eine Gruppe von Menschen mit der Situation arrangiert. Jeder übernimmt wichtige Aufgaben, die das Zusammen- und Überleben der Gemeinschaft sichern. Und auch Journeyman und seine Schwester Maddy sind hier heimisch geworden.
Die Idylle wird gestört, als Journeymans Collegefreund und ehemaliger Geschäftspartner Todbaume mit einem monströsen, atombetriebenen Gefährt namens „Blue Streak“ auf der Halbinsel auftaucht. Und sein Auftauchen verändert alles …
Das Buch lässt mich ratlos zurück. In der Summe ist mir im Roman „Der Stillstand“ zu vieles zu schwammig und nicht bis zum Ende ausgearbeitet. Die Grundidee hätte so viel Potenzial für ein mit skurrilem Humor gewürztes Endzeit-Drama gehabt, mit ausreichend Platz für philosophische Betrachtungen, Spannung und ein furioses Finale. Das wurde leider verschenkt.
Der Autor versteht sein Handwerk und die Geschichte ist reizvoll, dennoch hat das Buch mich nicht komplett überzeugt. Warum und weshalb? Das kann man ganz ausführlich auf meinem Buch-Blog nachlesen: https://www.buchleserin.de/2024/04/26/der-stillstand/
„Sandy“, Journeyman, Protagonist des Romans, lebt in einer Welt in einem Dorf bzw. einer Art Gemeinschaft, in der die
Zivilisation wie wir sie kennen, einfach aufgehört hat zu funktionieren - warum erschließt sich auch nicht in den Rückblenden in unsere Jetzt-Zeit. Wie sieht es in der Welt außerhalb aus - auch das lässt sich nur erahnen. Fakt ist, dass einige Menschen sicher besser damit zurecht kommen als andere, z.B. Sandys Schwester Maddy, die einen Bio-Bauernhof betreibt, Fakt ist auch, dass alle Menschen ihnen nahestehen verloren haben - und sei es nur, weil der Kontakt zu ihnen durch diesen relativ plötzlichen Stillstand der Welt abgebrochen ist. Plötzlich taucht ein alter Bekannter, der exzentrische Produzent Todbaume aus der Vergangenheit in einem supermodernen Gefährt auf, KI-gesteuert und atombetrieben, irgendwie surreal Übt es gleichzeitig Faszination auf die Bewohner aus und macht ihnen Angst. Mit ihnen kommt auch ein wenig der Welt von draußen in die Gemeinschaft, aber natürlich nur in Todbaumes Erzählungen, der sich gerne als „Geschichtenerzähler“ im Mittelpunkt stellt. Maddy und „Sandy“ begegnen ihm vorsichtig bis ablehnend.
Leider gibt es von mir nur 3 Sterne.
Zur Begründung: Der Roman liest sich alles in allem gut (wie zu erwarten), hat aber -wegen des Autoren und der Kritiken, die ich gelesen habe (Fehler!)- meine Erwartungen nicht erfüllt. Der Aufbau ist interessant, super kurze und wieder längere Kapitel wechseln sich ab, die Gruppendynamik wird konsequent entwickelt, die Fokussierung auf diese isolierte Gemeinschaft ist spannend und auch die Figuren sind echt interessant, dennoch wurde ich mit keiner der Figuren warm (was vielleicht auch gar nicht so wichtig ist), aber leider hat mich dann auch der als Lethem-typisch beschriebene Humor nicht gepackt, der mich auf dem Einband versprochen wurde. Auch die Rückblenden in die Vergangenheit der Hauptfiguren waren zur postapokalyptischen Lage kontrastreich, dennoch hätte mich ein Blick aus der Gemeinschaft in die aktuelle Außenwelt mehr interessiert - die etwas eigenwilligen Beschreibungen Todbaumes waren mir zu wenig. Und das Ende fand ich, aber da will ich nicht zu viel verraten, etwas enttäuschend Und auch etwas eigenartig. Ich hatte stets das Gefühl, dass ich das Buch einfach nicht ausreichend verstehe oder anders: dass ich an vielen Stellen mehr erfahren hätte, dass vieles nur angerissen und angedeutet wurde, was mir zu wenig war.
Kurz um: Dieser sicherlich großartige Roman und ich, wir wurden nicht warm miteinander.
Ach ja: Und ich bin echt permanent über die Namen der Nebenfiguren gestolpert … 🙈
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Zusätzliche Informationen
Jonathan Lethem wurde am 18. Februar 1964 in New York (Vereinigte Staaten von Amerika) geboren.
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