"Du glaubst an eine Wahnvorstellung. Paul, du glaubst an sprechende Schlangen und die Teilung des Roten Meeres und an einen Gott, der irgendwie einen Sohn hat, den er auf die Erde geschickt hat, um von einer Jungfrau geboren zu werden... Okay, okay... Nein, ernsthaft, wie viel Leute müssen an etwas glauben, damit es nicht mehr als Wahnvorstellung gilt? Wenn ich in einer Sekte bin, dann bist du in einer viel größeren und krankeren als ich." (S. 220)
Eines Abends beginnt es, Teil 1 des Unheils. Claire wird wach und hört ES. Ein Summen. Ihr Mann Paul hört es nicht. Ihre Tochter Ashley hört es nicht. Das Geräusch ist unerträglich. Sie sucht das gesamte Haus ab, schaltet Geräte und den Strom ab, sucht auf der Straße. Doch das Summen sitzt. In ihrem Kopf. In ihrem Körper. Sie hört es. Und sonst niemand. Es lässt sie nicht schlafen. Nicht ihren gewohnten Alltag durchführen. Es lässt sie nicht denken. Es macht sich körperlich bemerkbar mit Kopfschmerzen, Nasenbluten. Es verfolgt sie in die Schule. Es treibt sie fast in den Wahnsinn. Sie sucht Fachkräfte auf, um eine Lösung zu finden, doch niemand kann ihr helfen. Ihre Freundinnen, Kolleginnen und Familie zweifeln immer mehr an ihrem Verstand, stempeln sie als überarbeitet ab. Sie schottet sich immer mehr ab, isoliert sich von der Welt. Und dann plötzlich trifft sie auf jemanden, der ES auch hört; einer ihrer Schüler, der 17jährige Kyle. Die beiden machen sich auf die Suche nach der Quelle dieser Qual. Machen Messungen an unterschiedlichen Orten, sammeln Informationen. Alles muss natürlich geheim sein, denn wenn man Claire mit einem ihrer Schüler träfe, wäre der Ofen buchstäblich aus. Doch dann erzählt Kyle eines Tages, es gäbe noch andere. Andere wie sie beide, die dieses unerträgliche Geräusch auch hören und dass es ein Treffen gibt. Doch bevor die beiden sich dort hinbegeben können, beginnt Teil 2 des Unheils seinen Lauf zu nehmen, denn man hat sie beide gemeinsam gesehen. Als gefühlt alles zusammenbricht sieht Claire nur noch einen Weg, sie muss zu dieser Gruppe, diesen Leuten, die verstehen wie es ihr geht. Sie muss wissen, WAS ES IST. Und Teil 3 des Unheils beginnt.
Ich bin immer noch geflashed wie schnell es gehen kann, dass man als verrückt abgestempelt werden kann. Wie rasch die riesige Sturmzelle aufzieht und alles mit sich reißt, bis man als verwurzelter Baum nur mehr alleine am Feld steht. Alle wenden sich ab, keine Unterstützung durch irgendwen. Getreu dem Motto: Was ich nicht habe oder kenne, das kannst du doch auch nicht haben. Das ist unmöglich. Wenn niemand dir helfen kann, dann bildest du dir alles ein. Du machst alles kaputt, reißt mit deinem Wahnsinn alles nieder. Doch DU bist es nicht, im Grunde bist DU einem Ding ausgeliefert – wie einer Gelse im Schlafzimmer, die sich nicht finden lässt, nur dass sie dich 24/7 bespaßt.
„Bis zu diesem Abend und meinem Gespräch mit Ashley auf der Treppe hatte ich vermutlich noch nicht ganz begriffen, dass Hysterie eine psychische Wunde ist, die wir Frauen immer noch tragen. Eine Wunde, die uns jahrhundertelang durch unsere Symptome, unsere Instinkte über unsere eigenen Körper, unsere Freuden und Leiden zugefügt wurde, dadurch, dass wir immer die Ersten waren, die diskreditiert und diskriminiert wurden, sogar von anderen Frauen. Sogar von unseren eigenen Töchtern, wie es vermutlich gerade der Fall war.“ (S. 207)
Der Roman #dassummen schält das Konstrukt von sozialen Strukturen ab, wie eine Mango. Man schält und schält, es wird weicher (man glaubt das Problem zu erkennen) und stößt dann auf einen harten Kern, der nicht genießbar ist.
Alle Charaktere sind wunderbar ausgearbeitet, der Roman ist spannend und an vielen Stellen voll passender Dramatik, gepaart mit Zusammenhalt durch Fremde, Glauben an etwas Höheres (und auch doch nicht) und Verschwörungstheorien.
So wirft uns @jordan.tannahill ein Psychogramm der Gesellschaft in Form von fast 400 Seiten um die Ohren. Der harte Kern, die Menschen, die einem am Vertrautesten sind, wenden sich ab, weil sie nicht nachvollziehen können, was vor sich geht. Der Stempel des Irre-Seins lässt sich leichter aufdrücken, als die Kraft der Unterstützung. Das hatten wir doch erst unlängst bzw. haben wir auch noch im Nachgang mit Long-Covid oder Fatigue. Das sollte uns nochmal zum Nachdenken anregen!
Große #Leseempfehlung!