Cover des Buches Die Frauen meines Vaters (ISBN: 9783940666109)
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Rezension zu Die Frauen meines Vaters von José Eduardo Agualusa

Rezension zu "Die Frauen meines Vaters" von José Eduardo Agualusa

von Wolkenatlas vor 14 Jahren

Rezension

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Wolkenatlasvor 14 Jahren
Afrikanische Symphonie in vier Sätzen José Eduardo Agualusas zweiter im A1 Verlag erschienener Roman "Die Frauen meines Vaters" ist ein groß angelegtes, sehr ambitioniertes literarisches Porträt des südlichen Afrikas. Eine bewegende Spurensuche durch Angola, Südafrika, Namibia und Mozambique. Als die portugiesische Filmemacherin Laurentina von ihren Eltern erfährt, dass ihr leiblicher Vater niemand anders als der berühmte angolanische Musiker Faustino Manso ist, der nicht weniger als sieben Frauen und achtzehn Kinder hinterlässt, begibt sie sich mit ihrem Freund und zwei weiteren Mitreisenden auf eine spannende Reise, die nicht nur ein Forschen nach Fakten und Erzählungen aus und über das Leben ihres Vaters ist, sondern auch ihr Leben entscheidend verändern wird. José Eduardo Agualusa erzählt seinen Roman aus ständig abwechselnden Perspektiven, wobei nicht immer gleich oder eindeutig klar ist, wer gerade am Wort ist, bzw. auch größeren Zeitsprüngen, die sich erst mit Verlauf des Romans in ein mehr oder weniger geordnetes Ganzes fügen. Zusätzlich unterteilt Agualusa "Die Frauen meines Vaters" in vier quasi musikalische Sätze, die mit von der klassischen Symphonie abgeleiteten Satz- bzw. Tempobezeichnungen überschrieben sind und auch der traditionellen formellen Anlage (schnell, langsam, Scherzo oder Menuett, rasantes Finale) entsprechen: allegro ma non troppo, andante, menuett und presto e finale. Das ist eine interessante Idee, die sich jedoch paradoxerweise nicht auf die innere Unterteilung oder gar den Verlauf des Romans auswirkt und daher fast aufgesetzt wirkt und leider wirkungslos verpufft. Da der musikalische Kontext dieses Romans im Bereich des afrikanischen Jazz zu finden ist, ist dem Rezensenten auch der Bezug zur klassischen Symphonie etwas schleierhaft. José Eduardo Agualusas Prosa ist sehr abwechslungsreich, an vielen Stellen wunderbar inspiriert und mitreißend, treffend und extrem präzise die Stimmungen und Zustände der Protagonisten und des Landes weitergebend und zeichnend, während sie an anderen Stellen von dialogbedingten Durchhängern und Stilblüten geprägt ist, wie zum Beispiel eine vergleichende Anspielung auf einen aktuellen Kinofilm. "Erinnern Sie sich an Gloria, das sympathische Nilpferd aus Madagaskar, dem Animationsfilm von DreamWorks? Elisa Mucavele erinnert mich an Gloria." Die subtile Verknüpfung der fiktiven Geschichte mit einer realen Reise, die der Autor mit der englischen Dokumentarfilmerin Karen Boswall und dem Fotografen Jordi Burch unternommen hat, trägt zur flirrenden, etwas sprunghaften und doch sehr stringenten Entwicklung dieses Romans bei. Große Momente hat der Autor in den Passagen, in denen er Angola oder das Leben in Angola beschreibt, in denen er beiläufig afrikanische Stimmungen und Momente aus dem Ärmel schüttelt, die schlichtweg beeindruckend sind; auch die emotionalen Verstrickungen und Irrungen seiner Protagonisten gelingen ihm überzeugend, oft mit einem latent mitschwingenden erotischen Unterton. "Langsam öffne ich meine rechte Hand, dann die linke. Rieche an ihnen. Der einzige Beweis, dass sie hier war, ist das beiläufige Brennen eines süßlichen Parfüms auf meiner Haut, in den Laken und Kissen. Der Widerhall eines Satzes: Deine Hände geschaffen für die Kelche meiner Brüste. Die verschwommene Erinnerung an glühende Lippen und einen leichten Körper, der auf meinem ruht." Agualusa unterläuft der häufig anzutreffende Fehler der Talentierten, zu viel Aussage, zu viele Themen in sein Werk einarbeiten zu wollen, seinem Werk zu viel Gewicht mit auf den Weg geben zu wollen. "Die Frauen meines Vaters" ist ein Roman, der sowohl die Geschichte des Scheiterns einer Liebe als auch ein Liebesroman ist, der aber auch ein Roman über das südliche Afrika, die Musik Afrikas, Eros und Leidenschaft, sowie Politik ist, der die geschichtsbedingten Brücken zu Portugal und der Entwicklung Angolas gekonnt schlägt und zuguterletzt für den Verlauf des Romans überflüssigerweise Kinderpornografie ins Boot der Themen holt und somit gegen eben diese ein Zeichen setzt. Ein paar Themen und Anliegen weniger wären hier möglicherweise mehr gewesen. Dennoch dominiert am Ende das wohltuende Gefühl, eine wichtige Entdeckungsreise ins Innere gemacht zu haben, und der Wunsch, das südliche Afrika selbst (wieder) zu bereisen und die Gewissheit, auch wenn die Qualität dieses Textes hie und da etwas abstürzt, einen starken, beeindruckenden Roman gelesen und einen äußerst talentierten Autor für sich entdeckt zu haben. (Erstveröffentlicht auf www.sandammeer.at, Roland Freisitzer; 02/2010)
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