Rezension zu "The Winter People" von Joseph Bruchac
Der Worrier schüttelte seinen Kopf. „Es macht mich traurig zu denken, daß ich diese Glocke bald nie wieder werden läuten hören. (S. 24)*
Zum Inhalt (eigene Angabe)
Im Jahr 1759 tobt in der Neuen Welt der Krieg zwischen Engländern und Franzosen; mit hineingezogen werden die ansässigen Indianerstämme. Während eines Festes wird das mit den Franzosen verbündete Abenaki-Dorf St. Francis von einem Trupp englischer Ranger überfallen und dem Erdboden gleich gemacht. Es gibt viele Tote, etliche der Überlebenden werden als Gefangene entführt. Darunter die Mutter und die beiden Schwestern von Saxso. Auf den Rat des weisen Worrier hin macht er sich alleine auf den Weg, sie zu befreien. Es beginnt eine gefährliche Reise mit ungewissem Ausgang.
Meine Meinung
Es ist einige Jahre her, daß ich „Sacajawea“, welches ich als sehr gut in Erinnerung behalten habe, vom gleichen Autor gelesen habe. Als mir dieser Tage nun „The Winter People“ auffiel, habe ich es nicht nur gleich erworben, sondern es gar nicht erst ins Regal gestellt und gleich gelesen. Je weiter ich kam, je mehr fragte ich mich, weshalb ich so lange nichts mehr von diesem Autor gelesen habe.
Das Buch wird vom Verlag zwar als Jugendbuch angeboten, es ist jedoch auch für Erwachsene gut lesbar. „Historische Erzählung geht nicht viel besser als dieses Buch,“ findet man als Auszug aus einer Rezension auf dem Buchrücken, und dem kann ich nur uneingeschränkt zustimmen.
Im Nachwort berichtet der Autor von dem Überfall der Bostoniaken, wie die Engländer von den Abenaki genannt wurden, auf das Dorf St. Francis, und zwar sowohl, wie es der „weiße Teufel“ Major Robert Rogers im November 1759 an seine Vorgesetzten berichtet hat als auch wie der Vorfall in den Annalen der Abenaki verzeichnet ist. Zwischen beiden Versionen entwickelt Bruchac seine Version der Ereignisse, die möglichst nah an die Überlieferungen angelehnt ist, deren Handlung jedoch natürlicherweise von fiktiven Figuren getragen werden, wenngleich viele der im Buch vorkommenden Personen historisch sind.
Saxso ist vierzehn Jahre alt, als sein Dorf überfallen wird. Durch einen Zufall entgeht zwar er der Gefangennahme, nicht aber seine Mutter und seine beiden Schwestern. Er kennt seine Grenzen, doch als einziger Mann in der Familie (der Vater ist vor einem Jahr im Kampf gefallen) will er Mutter wie Schwestern retten. Er hat eine gute Ausbildung genossen, und der Worrior, ein alter Weiser Mann, gibt ihm genaue Ratschläge. „Es geht nur um die Befreiung, nicht um Rache“, gibt er ihm mit auf den Weg. Nur wenn er sich daran halte, könne er Erfolg haben. So macht er sich denn alleine auf den Weg.
„Dabei hatte ich immer das Gefühl, irgendwo in der Prärie an einem Lagerfeuer zu sitzen und in den Abend und die Nacht hinein wird erzählt, was um 1835 vor sich ging. So ist auch die Sprache nicht hochgestochen oder gekünstelt, sondern (zumindest habe ich das so empfunden) natürlich, wie man eben eine solche Geschichte erzählen würde. Am Lagerfeuer, unter freiem Himmel, eine Pfeife schmauchend.“, so hatte ich in meiner Rezension zu Robert Conleys „Der Wind rief seinen Namen“ geschrieben. Und so ziemlich genau dieses Gefühl hatte ich auch beim Lesen dieses Buches hier. Es ist aus Sicht der „Menschen mit dem Sommer im Herzen“ geschrieben, nicht aus Sicht der „Winter Menschen“, wie die „Weißen“ auch genannt werden.
Immer wieder bricht diese teils ganz andere Weltanschauung durch. Obwohl die Abenaki von den Franzosen zum Katholizismus bekehrt wurden und auch in die Kirche gehen, haben sie sich doch einen guten Teil ihres indianischen Erbes und ihrer Weltsicht bewahrt. „Wir müssen diese Wintermenschen nicht hassen, White Man Talker. Bedaure sie. Behalte den Sommer im Herzen“, sagt der Worrier an einer Stelle (S. 159) zu Saxso, der auch White Man Talker genannt wird.
Saxso ist zwar noch jung, hat von seinen Eltern und seinem Onkel jedoch schon eine gute Ausbildung erhalten, die ihm nun zu passe kommt. Bruchac hat ausladende Beschreibungen vermieden, dennoch kann man sich Figuren wie auch Landschaft sehr gut vorstellen. Nebenbei fließen viele Informationen, etwa über das Spurensuchen und -finden ein, wenn Saxso sich auf seinem Weg dessen vergewissert, was nun gerade am Besten zu tun - oder zu lassen ist. Weisheiten wie die, daß der einfachste Plan meist der Beste ist, weil am Wenigsten schief gehen kann, sind so einfach, daß sie auch heute noch und außerhalb dieses Romans sinnvolle Anwendung finden können.
Ob Saxso am Ende seine Mission erfolgreich erfüllt oder nicht, sei hier nicht verraten. Auf jeden Fall lohnt es sich, seiner Reise trotz des ernsten Anlasses zu folgen. Vielleicht ist am Ende nicht nur Saxso gewachsen, sondern hat auch der Leser eine Ahnung davon erhalten, was es heißt, den „Sommer im Herzen“ zu behalten.
Mein Fazit
Die historischen Ereignisse um den Überfall auf das Abenaki-Dorf St. Francis im Jahre 1759 hat der Autor zu einem gut lesbaren Roman verarbeitet. Trotz der ernsten Thematik eine warmherzig erzählte Geschichte, die lange im Gedächtnis bleiben wird.
Originaltexte (oben eigene sinngemäße Übersetzungen)
* = The Worrier shook his head. „It saddens me to think that soon I will never hear that bell ring again.“ (S. 24)
** = „We must not hate those Winter People, White Man Walker. Pity them. Keep the summer in your heart.“ (S. 159)