Um das Fazit vorwegzunehmen: "Bäume im Zimmer" ist wieder eines jener Bücher, die man am liebsten zu jeder Zeit mit sich herumtragen möchte, denn hier geht es um nicht weniger als um alles.
Schon die ersten Zeilen verraten das. Man lehnt sich zurück, schließt die Augen, atmet tief ein, schwebt umher und glaubt, dem Dichter bei seiner Arbeit zu begegnen. Wie er das kann, wie er das macht: Mit Worten eine ganze Welt umspannen.
"So wie das Gras wächst
kehrt alles zurück ..."
Wie auch in "Die Erfindung der Sehnsucht" (2017) belästigt Joseph Zoderer seine Verse nicht mit "Formalitäten". Überschriften gibt es wieder keine. Auf einen zusammenfassenden Titel kann er gut und gerne verzichten, was vielleicht irritieren mag. Jedenfalls bis man einsieht, dass seine Zeilen sehr gut ohne Krone zurechtkommen.
Sie sprechen für sich. Erklären sich selbst. Auch wenn es nur der "Staub des Fußbodens" ist, der sich an lustvolle Tage erinnert, oder ein Verirren, das es nicht gibt, wenn man das Ziel nicht kennt. Trotzdem melden sich manchmal dunkle Bilder und Vorahnungen aus einer diffusen Zukunft, oder spielt uns unsere Angst wieder Streiche?
Kann ja sein, doch das letzte Aufwachen ist gewiss. Das könnte aber auch als eine gewisse Art Sicherheit ausgelegt werden.
"Vielleicht wächst du
im innersten Grün ..."
Wenn es das Leben nicht geben würde, gäbe es auch diese Zeilen nicht. Ein verdammt schwacher Trost. Falls es so etwas überhaupt gibt. Joseph Zoderers Verse sind es auf jeden Fall. Begleiter, die den vorgezeichneten Weg illustrieren, aber auch auf ein verständliches Maß reduzieren. Ihm den Schrecken nehmen.
Mag schon sein, dass da irgendwo schon eine Sense herumhängt. Mit dem "Fremden im weißen Nachthemd" muss man aber nicht sofort ins Gespräch kommen. Hauptsache, man hat noch etwas Zeit, "zu den falschen Noten" zu lachen.
Was dieses wunderbare Buch noch zu bieten hat? Es gibt am Ende eine Antwort auf eine der wichtigsten Fragen, die da heißt: "Was zählt"?
Joseph Zoderer
Lebenslauf
"Der deutsche Autor mit österreichischer kultureller Prägung und italienischem Pass": Joseph Zoderer, geboren am 25. November 1935 in Meran, ist ein italienischer Schriftsteller aus Südtirol. Er studierte Jura, Psychologie, Theaterwissenschaften und Philosophie an der Universität Wien. Brach das Studium jedoch wieder ab. Zu dieser Zeit arbeitete er als Journalist für die Kronen Zeitung, Die Presse und den Kurier.
Einige Jahre später veröffentlichte er erstmals Lyrik- und Prosaschriften. Seinen Durchbruch schaffte er 1974 mit der Sammlung sozialkritischer Dialektdichtung. Sein Debüt als Romanautor gab er mit seinem Werk „Das Glück beim Händewaschen". Nachdem er sich eine Zeit lang als Rundfunkredakteur versuchte, entschied er sich schließlich dazu freier Schriftsteller zu werden. In Folge seiner großen Erfolge wurde er Mitglied er Grazer Autorenversammlung und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Für seine Arbeiten wurde er bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. So u. a. mit dem Literaturpreis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Marburger Literaturpreis, dem Franz-Theodor-Csokor-Preis, dem Fernsehfilmpreis, dem Hermann-Lenz-Preis und dem Walther-von-der-Vogelweide-Preis.
Außerdem ist er Empfänger des Österreichischen Staatsstipendiums, des New-York-Stipendiums des Darmstädter Literaturpreises und des Stipendiums des Künstlerhauses Edenkoben. Darüber hinaus wurde er zum Ehrenbürger der Universität Innsbruck und des Stadt Meran.
Zoderer bezeichnete sich selbst als "deutscher Autor mit österreichischer kultureller Prägung und italienischem Pass".
Heute lebt der Autor zusammen mit seiner Familie in Bruneck.
Alle Bücher von Joseph Zoderer
Die Farben der Grausamkeit
Das Glück beim Händewaschen
Die Walsche
Mein Bruder schiebt sein Ende auf
Liebe auf den Kopf gestellt
Bäume im Zimmer
Die Erfindung der Sehnsucht
Der Irrtum des Glücks
Neue Rezensionen zu Joseph Zoderer
Schwer zu verstehen sind nicht wenige Dichter. Verschleierte Worte, verdrehter Sinn, versteckte Botschaften oder in Ketten gelegte Fragezeichen. Joseph Zoderer geht ganz andere Wege. Das fängt schon beim "Inhaltsverzeichnis" an. Es gibt nicht nur keins, sondern es würde auch gar keinen Sinn machen. Wie sollte ein solches auch ohne Überschriften funktionieren?
Formal fehlt also einiges. Doch schnell merken Leserinnen und Leser, dass jenes Fehlen kein Verlust bedeutet. Die Zeilen Zoderers benötigen keine Überschriften. Sie wären schlicht überflüssig. So lächerlich, wie es das Anbringen eines Schildes über einem gigantischen Ozeandampfer wäre, auf dem geschrieben steht: "Ozeandampfer".
Der Klappentext gibt spärliche Auskunft. Er leistet sich immerhin den Hinweis auf die "Liebe als Grundprinzip". Doch der Dichter geht viel weiter. Wo Licht ist, gibt es auch Dunkelheit:
"Von den Zweigen fielen tote Vögel
aus den Wolken tropfte ein Singen ..."
Als wesentlicher Bestandteil und unmittelbare Folge des Glücks, sorgt das Unglück für die Balance:
"Es gibt ein Niemandsland
ein Wundenland ..."
Und wenn der Dichter die ausgetretenen Pfade der Alltäglichkeit verlässt, kann es durchaus passieren, dass selbst ihm die Worte fehlen. Es könnte aber auch eine Einladung an die Leserschaft sein, sich aus der Bequemlichkeit zu erheben, um sich selbst einmal auf die Suche zu machen:
"Wir werden unsere Sprache
erst erfinden müssen ..."
Doch vielleicht ist es ein Fehler, den Dingen letztlich auf den Grund zu kommen. Was bedeutet schon ein Ziel, wenn der Weg dahin der weitaus aufregendere ist?
"Das Ende wissen
und doch den Anfang leben ..."
Womöglich ist es ein Glück, die Spielhalle der unendlichen Möglichkeiten mit geschlossenen Augen zu betreten. Kann gut sein, dass der nie erfüllte Traum der bessere ist. Wer weiß?
Dieses Buch kann man lesen, aber nicht "auslesen". Joseph Zoderers Worte schwingen weiter und gehen eigene Wege. Was bleibt sind Fragen, die nie beantwortet werden, und man spürt, dass es gut ist, denn:
"Was wird sein
wenn alles wahr wird ..."
Als Südtirolerin ist es wohl meine Pflicht mich in der heimatlichen Literatur etwas auszukennen...nja, diese Pflicht wurde in den letzten Jahren stark vernachlässigt, was ich jetzt versucht habe nachzuholen.
Gespräche aus der Community
Zusätzliche Informationen
Joseph Zoderer wurde am 25. November 1935 in Meran geboren.
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