Der gescheiterte Kontrabassist Hugo kehrt nach langer Zeit in seine Heimatstadt Lissabon zurück. Ohne Antrieb und ohne ein Ziel möchte er der Musik den Rücken kehren. Trotzdem arbeitet er an seiner ersten und immer noch unvollständigen Komposition weiter. Als er mit einer Frau das Konzert des erfolgreichen Pianisten Luís Stockman besucht, hört er diesen seine Komposition spielen – die, an der er bereits seit mehreren Jahren arbeitet und die er nie vollenden konnte. Anschließend wird er auch noch mit dem Pianisten verwechselt und versinkt in einer obsessiven Suche nach der Wahrheit, die sich irgendwo zwischen Realität und Wahn verliert.
Meine Meinung
Bereits nach wenigen Seiten konnte mich dieses Buch begeistern: João Tordos Schreibstil ist mir sofort positiv aufgefallen, da er sehr melodisch, emotional und auch etwas düster ist. Er vermittelt ein komplexes Bild seiner Handlungsorte und Personen und erschafft eine Geschichte, die dem Leser Tiefe und Emotionalität bietet. Die Emotionen werden sehr glaubhaft und intensiv beschrieben, was zusätzlich eine starke Verbundenheit und Mitgefühl zu dem Protagonisten beim Leser auslöst.
„Ihm war zum Lachen zumute, aber er lachte nicht. In Momenten wie diesen, in denen ihn das Bedürfnis zu lachen überkam, drückte die Traurigkeit ihn am stärksten nieder.“ – Seite 11
João Tordo zeichnet in seinem Buch das Bild eines verzweifelten Musikers, der am Tiefpunkt seines Lebens angekommen ist, als ihm auch noch das Wichtigste genommen wird – seine einzige und noch unvollständige Komposition. Die Suche nach der Wahrheit erinnert leicht an Kriminalliteratur, die in eine philosophische und realitätshinterfragende Geschichte eingebettet wird.
„Er schlief auf der Stelle ein und träumte von einem Mann, der in einem Schneesturm davonging, ein Unbekannter, der, das fühlte er, ihm etwas gestohlen hatte, etwas, das er für sein eigen hielt, obwohl es das vielleicht nie gewesen war – ein Gesicht, eine Identität.“ – Seite 35
Zwischen Zorn, Unverständnis und Verzweiflung findet sich auch die unglaubliche Hingabe und Liebe Hugos zu seinem Kontrabass und der Musik.
„Jedes Mal, wenn er den wie eine ruhende Frau mit ausladenden Hüften am Boden seiner Wohnung liegenden Kontrabass angeschaut hatte, der so alt war wie sein Urgroßvater und den er wegen seiner haselnuss- und schokoladenbraunen Farbe mit einer zarten Honigpatina liebevoll Nutella getauft hatte, erwachte in ihm mit voller Wucht das Gewissen“ – Seite 15
Das Lesen dieses Buches ist ein außergewöhnliches Erlebnis, das ich so noch nicht erlebt habe. Mich ließ dieses Buch mit tiefem Respekt für den Autor und seinen genialen Schreibstil zurück. Auch die Handlung an sich ist alles andere als langweilig oder banal – sie machte mich stellenweise atemlos und packte mich von Anfang an. Zudem gibt es einen großen Wendepunkt der Geschichte, der das Buch in zwei Teile trennt. Er war absolut überraschend und der zweite Teil ging in eine ganz andere Richtung weiter, als ich zuvor gedacht hatte.
Sprache
Ich bin unglaublich angetan von João Tordos schriftstellerischem Können. Ich werde ihn auf jeden Fall im Auge behalten und hoffe sehr, dass auch seine weiteren Werke ganz bald auf Deutsch erhältlich sein werden.
An dieser Stelle möchte ich ebenfalls auf die ausgezeichnete Arbeit der Übersetzerin Barbara Mesquita eingehen. Sie hat die schöne, poetische Sprache so authentisch übersetzt, dass ich das Gefühl hatte João Tordo hätte selbst das Buch auf Deutsch geschrieben. Ich denke, dass es gerade bei solchen Büchern unglaublich wichtig ist, gute Übersetzer einzusetzen, die die Eigenheiten und Besonderheiten des Autors ohne Verluste übersetzen können.
Cover
Das Cover ist ein wahrer Eyecatcher. Es ist düster und geheimnisvoll und zeigt eine kleine, düstere, portugiesische Gasse.
Die Einbandgestaltung ist dem Verlag wirklich gelungen. Ich finde es sehr interessant, dass die Rückseite gewissermaßen das Negativ der Vorderseite bildet und so die Thematik der Doppelgänger und Kopien aufnimmt.
Fazit
„Stockmans Melodie“ konnte mich vollkommen überzeugen. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich ist es außergewöhnlich und ein Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Das Buch bietet nicht nur eine spannende Geschichte, sondern reißt sogar noch philosophische Fragen an, in denen es um Individualität und Seelenverwandtschaft geht. Die Idee des Buches fand ich von Anfang an sehr spannend, doch was mir das Buch letztendlich geboten hat, war weitaus mehr!
Der zweite Teil des Romas geht, nach einer unglaublichen Wendung, in eine ganz andere Richtung. Dies habe ich nicht erwartet und deshalb mit viel Interesse verfolgt.
Das Buch bekommt somit die Höchstwertung und reiht sich bei meinen Lieblingsbüchern ein!
Lest auf jeden Fall mal in die Leseprobe rein, um zu sehen, ob João Tordo euch auch schon nach so wenigen Seiten überzeugen kann!