Rezension zu "Der kalte Hauch des Flieders" von Judith Hawkes
Ein Ehepaar, David und Sally Curtis, bestehend aus einem ausgebildeten Parapsychologen und seiner telepathisch begabten Frau, will dem Geheimnis einer unheimlichen alten Villa in Neuengland auf den Grund kommen. Warum haben alle vorherigen Mieter das Haus schon nach wenigen Monaten verlassen? Was hat es mit den Lichterscheinungen auf sich? Stürzen so häufig Menschen von der Treppe, weil sie ungerade gebaut ist, oder steckt mehr dahinter? Ausgerüstet mit wissenschaftlichem Sachverstand und diversen Messgeräten für alles zwischen spontanen Temperaturschwankungen und elektromagnetischer Strahlung quartieren sie sich für einige Sommerwochen in der Villa ein. Zunächst geschieht nichts, erst, nachdem sie ein Medium hinzuziehen und einige Seancen durchführen, beginnt sich das Haus und seine Vergangenheit zu regen. Während sie sich zu Anfang noch mit Feuereifer in die Nachforschungen stürzen und einige Geheimnisse der Familie Gilfoy, die das Haus erbaute, aufdecken, beginnt sich in Sally der Verdacht zu regen, dass ihnen beiden der Auftrag über den Kopf wächst und sie der Macht, die das Haus auf sie ausübt, nichts entgegen zu setzen haben.
„Das Haus um sie herum war dunkel, eine räumliche Anordnung geometrischer Formen, schemenhaft, träumend, jede Linie und jeder Winkel gesättigt mit Vergangenheit wie mit einer Flüssigkeit, die bei der leisesten Berührung überfließen muss.“
Mit seinen knapp über 500 Seiten ist das Buch nichts für Menschen die auf der Suche nach schnellem heftigem Grusel und rascher Action sind. Die Handlung entfaltet sich sehr langsam und auch wenn ich die stimmungsvollen, atmosphärischen Beschreibungen größtenteils sehr genoss, hatte es doch auch einige Längen. Ich würde auf jeden Fall empfehlen, sich mehrere Stunden am Stück in diesem Wälzer zu versenken, denn ich habe gemerkt, dass ich mich bei kürzeren Lesesessions nicht auf die Geschichte einlassen konnte.
Ich habe erst selten Bücher gelesen, in der Spukhäusern mit einer solchen Professionalität begegnet wird. Schließlich befassen sich Sally und David beruflich mit der Parapsychologie, die im Roman als „Die Wissenschaft von Dingen, die es nicht geben kann, aber trotzdem gibt“ beschrieben wird. Statt also unvorbereitet mit unheimlichen Phänomenen konfrontiert zu werden, sind die beiden auf der Suche nach allem, das sich nicht mit gewöhnlicher Logik erklären lässt, und ihr wissenschaftliches Vorgehen mit diversen Sensoren und Aufnahmegeräten war sehr interessant zu lesen.
Zunächst scheint das Haus ein Spukhaus wie jedes andere zu sein. Aufregend für Sally und David ist nur, dass es das erste Mal für die beiden ist, wirklich Feldforschung zu betreiben, nachdem sie jahrelang in Laboren gearbeitet haben. Die anfängliche Freude wird schnell zu Resignation, als das Haus nicht für sie und ihre Geräte zu spuken scheint. Sie laden Rosanna, ein Medium ein, und in den darauffolgenden Seancen gibt es tatsächlich einige Ergebnisse: eine Präsenz scheint durch Rosanna Kontakt aufnehmen zu wollen, ein junger Mann, der sich „der Verlorene“ nennt. Mit diesem Anhaltspunkt versuchen Sally und David nun herauszufinden, wer jener Mann ist und warum er immer noch im Haus präsent ist.
Während es nun häufiger zu übernatürlichen Ereignissen kommt, scheint das Haus jedoch auch langsam die Überhand zu bekommen und seine Bewohner in ihren Handlungen zu beeinflussen. Sally zweifelt allmählich daran, ob sie noch Herrin ihrer Taten ist und hat und ist auch beunruhigt, dass David manchmal von etwas ergriffen ist, das nicht er selbst ist. Am liebsten würde sie den Aufenthalt abbrechen, doch David rationalisiert ihre Sorgen und erklärt sie für nichtig, er will auf keinen Fall aus der Villa ausziehen, bevor er das Geheimnis nicht gelöst. Doch haben die beiden es wirklich mit einem Problem zu tun, das man so einfach lösen kann? Liegt das in ihren Händen oder können sie nicht mehr tun, als die Lage zu sondieren und sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen?
Abgesehen von einer klassischen Geistergeschichte hat man es hier auch mit der Geschichte einer Ehe zu tun, die von Beginn auf wackeligen Beinen stand und die nun, von den Mächten des Hauses ergriffen, an ihre Grenzen getrieben wird. Ich muss gestehen, dass mir David ab und an den letzten Nerv raubte und ich das Buch wahrscheinlich ohne die angespannte Beziehung der Hauptfiguren mehr genossen hätte. Dennoch muss ich Judith Hawkes zu Gute halten, dass sie die leider meist frustrierenden Methoden der beiden, mit Konflikten umzugehen (oder sie einfach wegzuschweigen) sehr realitätsnah und überzeugend darstellt.