"...verstanden als Vorgang des Ersetzens. Des Auswaschens gar und Ausschwemmens alles Schädlichen oder nicht zu Gebrauchenden, und zwar aus dir selbst, durch den Einfluss und das Einströmen des Unbelasteten und Nötigen, schlechthin Neuen, einer Blutwäsche, die dir nach und nach zurückhülfe [nein kein Tippfehler!] zu einem Johnnysein, das dir verschwommen und flirrend, fatamorganisch, mit neun oder zehn vorgeschwebt hatte, oder sagte man: war?, es war eine Uneindeutigkeit darum bis ins Grammatische hinein, und eben nach ihr sehntest du dich."
Sooo, nur, dass schon einmal klar ist, worauf man/frau/mensch sich einlässt bei der Lektüre von "Johnny Ohneland"... Es handelt sich bei diesem Roman nämlich nur oberflächlich um einen Identitätsfindungs-/Entwicklungsroman. Das ist nur die Tarnung für ein Sprachgewitter proustschen Ausmaßes. Inhaltlich geht es um Johnny, die als Joana 1981 in einer Kleinstadt Nordostdeutschlands geboren wurde, deren Mutter als sie 17 Jahre alt war, mir nichts dir nichts die Familie verlassen hat und deren Weg wir nun zwischen den Genderidentitäten und sexuellen Orientierungen hin und her verfolgen. Diese Reise passiert nicht nur innerhalb von Johnny und ihren sozialen Interaktionen sondern findet auch rein physisch statt mit Zwischenstopps in Finnland und Australien.
Fast schon als eigene, eigenwillige und mehr als nennenswerte Romanebene agiert aber auch die Sprache. An diesem "Ort" des Geschehens, spielt sich mitunter viel mehr als im Plot ab. Der Roman ist in einer Du-Ansprache-Form geschrieben und von der Zukunft auf die Vergangenheit blickend, in einer grammatischen Form, die ich kaum benennen kann. Diese "Neigung" der besonderen Sprache und das Durchdeklinieren jeglicher Gedankengänge, die nicht nur Johnny sondern auch die Autorin zu haben scheint, wird sogar konkret benannt: "Wie erwartbar, wie variationslos das Leben in seiner Ambivalenz doch irgendwann wird, alles hat zwei Seiten mindestens, das trifft immer zu. Das trifft, immerzu. Aber nicht unbedingt ins Schwarze, die Resultate dieser schwer zu kontrollierenden Neigung, die Worte doppelt und dreifach nutzbar zu machen, ihnen zweite und dritte Ebenen abzupressen, nichts umkommen zu lassen."
Mir kam beim Lesen dieses 525 Seiten langen Buches der Gedanke, dass man per Zufall irgendwelche Seiten daraus bei einem Poetry Slam vortragen könnte und aufgrund der Sprachgewalt wahrscheinlich sofort das Highlight des Abends wäre. Meines Erachtens ist der Reiz an einem solchen Abend, dass die Beiträge zeitlich begrenzt und dadurch in ihrem Umfang eingeschränkt und pointiert präsentiert werden. Über das vorliegende Buch in seiner kompletten Länge hinweg verliert der Stil jedoch seinen Highlight-Effekt. Da wirklich gefühlt jeder Satz inhaltlich wie sprachlich durchdekliniert wird, verblassen die Highlights nebeneinander. Sie nerven sogar zunehmend, weil mal die Drehungen und Wendungen der Sprache und Sprichwörter schon vorhersieht, wie bei einem schlechten Wortwitz. Das ist schade, denn so zieht sich das Buch und auch das Interesse an der Story als solcher sinkt. Es ist ein Spiel mit der Sprache und jedes Spiel wird auf Dauer langweilig.
Trotz allem handelt es sich hier um ein lesenswertes und ebenso außergewöhnliches Buch, was von mir sehr gute 3,5 Sterne erhält.