Als 2017 Mariana Lekys Roman „Was man von hier aus sehen kann“ erschien und binnen kürzester Zeit alle Bestsellerlisten stürmte, wollte ich dieses Buch um Luise und ihre Eltern, Luises besten Freund Martin und dessen Vater, die verschrobene Elsbeth, den Optiker und vor allem um dessen große Liebe, Luises Oma Selma, deren Träume von Okapis nichts Gutes verhießen für die Menschen des kleinen Dorfes im Westerwald in dem sie alle lebten, zunächst nicht lesen. Zu schwärmerisch kamen mir – und wer meine Texte hier kennt, weiß, was das heißt – die Empfehlungen vor. Als ich dann kurz vor Ende meines Urlaubs und damit kurz vor dem Beginn eines dreiwöchigen Housesittings bei einem meiner liebsten Kollegen in unserer Kietzbuchhandlung vor dem Buch stand, konnte ich doch nicht anders, als es mitzunehmen. Drei Wochen in einem fremden Haus mit wunderschönem Garten, großartiger Veranda und vor allem einer Hängematte als Leseplatz, konnten ja nicht ohne Buch durchlebt werden. Was mir allerdings nicht klar war: Das Buch würde nicht einmal ein Wochenende lang ausfüllen.
Einmal in der Hängematte angelesen, brachten meine zwei Männer mich nicht mehr aus dieser. Zu schnell hatte mich Lekys wunderbare Sprache gefangen genommen, zu nah waren mir ihre Figuren gekommen, als dass ich mich einfach hätte lösen können. Die Stimme der Erzählerin Luise klang beinahe direkt in meinem Ohr, die Fürsorge ihrer Oma Selma und des Optikers um Luise und Martin, die ihnen schwimmen und Radfahren beibringen - „wir lassen nicht los, wir lassen nicht los, wir lassen nicht los – wir lassen JETZT los“ - ist mir seit damals nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Die ganze Atmosphäre, die sich bei der Lektüre in meinem Kopfkino abspielte war grandios und warm und bittersüß, bedenkt man, dass die Träume Selmas ja tatsächlich immer ein Leben kosten. Während Luises Vater die Erweiterung der kleinen Welt im Westerwald forderte „ihr müsst mehr Welt hereinlassen“ und so dem Tod ein Schnippchen zu schlagen versucht, erging es dem Postboten ganz anders: „Otto hatte sein Leben verloren aus Angst sein Leben zu verlieren“. Dem Tod entgeht eben niemand. Für manche allerdings kommt er viel zu früh.
„Was man von hier aus sehen kann“ ist zu Recht vielfach gekauft, verschenkt und gelesen worden. Die Geschichte an sich ist vielen bekannt und soll hier nicht nocheinmal aufgerollt werden, wer möchte, darf gerne hier nachlesen. Dennoch gibt es jetzt eine Version, die man sich unbedingt anhören muss, weil sie die Essenz des ganzen Buches perfekt destilliert, den Sound der Erzählung, der bei der früheren Lektüre im Kopf entstanden war, aufgreift - es schien mir tatsächlich, als hätte jemand mein Kopfkino mitverfolgt - und das nicht nur durch die wunderbar stimmige musikalische Untermalung.
Im Januar 2020 ist bei Der Audio Verlag, ein vom WDR produziertes Hörspiel erschienen, das die Atmosphäre des kleinen Dorfes im Westerwald grandios einfängt. Jule Ronstedt als Erzählerin und Luises Stimme könnte nicht besser gewählt sein. Sie verleiht dem Hörspiel auf charmante Art und Weise genau den Zauber, den die Elemente des magischen Realismus brauchen, um nicht deplatziert zu wirken. Dadurch wird das Zuhören zu einem gleichwohl berührenden als auch äußerst beglückenden Erlebnis, das auch bei mehrfacher Wiederholung nichts von seiner Attraktion verliert.
Neben den absolut passenden Stimmen der einzelnen Sprecher*innen, besticht die musikalische Untermalung ebenso, wie eben die Konzentration auf das, was im Buch zwischen den Zeilen mitschwingt und in Form des Hörspiels großartig umgesetzt wurde. Besser geht es nicht. Hört es euch an, dieses bittersüße Ereignis, lasst euch ein wenig entführen in den Westerwald, wo so vieles zusammenzuhängen scheint. Ihr werdet es nicht bereuen. Was für eine bezaubernde, charmante und berührende Umsetzung. Merci allen Beteiligten für dieses Ereignis!!