In ihrem Debütroman "Shanghai Story" erzählt Juli Min die Geschichte der asiatischen Familie rund um Leo, Eko und ihre drei Töchter Yumi, Yoko und Kiko über einen Zeitraum von 26 Jahren.
Das Besondere dabei ist dass sie die Geschichte rückwärts erzählt, beginnend im Jahr 2040 als die Töchter längst erwachsen sind und Leos und Ekos Ehe auf der Kippe steht bis ins Jahr 2014 als sie sich gerade kennenlernten.
Leo ist ein erfolgreicher chinesischer Immobilieninvestor, Eko eine französisch-japanische Künstlerin. Wie haben sie sich kennengelernt, wie ist ihr Leben verlaufen, welche Entscheidungen haben sie getroffen... all das erfahren wir nur sehr langsam, manches gar nicht denn es dauert bis die Geschichte am Anfangspunkt ist, dort wo alles seinen Ursprung hat was Leos und Ekos Leben seitdem prägte. Einige Erzählstänge verlaufen auch im Sande, ekn roter Faden fehlt dem Buch komplett
Die Figuren die Juli Min zeichnet waren für mich nicht immer greifbar und in den meisten Fällen höchst unsympathisch. Leo, der seine Frau im einen Moment vergöttert, im anderen verabscheut. Eko, die so gerne aus dieser Ehe ausbrechen würde, sich das Leben mit jemand anderem vorstellt, eine Szene früher oder später jedoch völlig in ihrer Rolle als liebende Ehefrau aufgeht.
Auch die drei Schwestern untereinander kämpfen mit Rivalität, Verachtung und gleichzeitiger Liebe füreinander und suchen jeweils ihren Platz in einer globalisierten Welt.
Das ist die große Stärke der Autorin - komplexe, familieninterne Dynamiken aufzeigen, Konflikte und Emotionen ausbreiten und aufarbeiten, psychologisch tiefgreifend Strukturen einer Familie zutage fördern die sich längst, vielleicht ohne es zu merken, voneinander entfremdet hat. Das hinterlässt Eindruck und zeichnet ein tiefgreifendes Bild einer Familie die nach außen hin ihren Schein versucht zu wahren während sie sich gegenseitig verletzt, unfähig ist zu kommunizieren und innerlich längst implodiert ist.
Was für mich nicht so gut funktioniert hat, worin ich jedoch große Hoffnungen hatte, ist der Kunstgriff des rückwärts Erzählens. Ich habe erwartet dass die Geschichte mit einem großen Knall beginnt dessen Entstehung wir verfolgen. Das war nicht der Fall und deshalb etwas enttäuschend. Der Plot setzt sich eher zusammen aus fragmentarischen Szenen einer dysfunktionalen Familie die mehr aus Konflikten und Entfremdung besteht als aus Zuneigung zueinander. Wir bekommen mit jedem Kapitel neue Brocken hingeworfen und müssen uns unser Bild selber zusammensetzen.
Der Lesefluss wurde für mich auch etwas gehemmt dadurch dass ich mich nach jedem relativ langem Kapitel in eine neue Perspektive und eine neue Zeit hineinversetzen musste.
Fazit: Die präzise Beobachtungsgabe der Autorin war für mich ein klarer Pluspunkt und hat zwar unemotionale aber interessante Einblicke in die Familiendynamik ermöglicht.
Die Erzählungweise hat für mich allerdings leider nicht funktioniert da der Spannungsbogen bereits von Anfang an nicht gegeben war und der Plot eher aus losen Anekdoten bestand - womit der Titel Shanghai STORIES für mich treffender wäre.