Cover des Buches Unterleuten (ISBN: 9783630874876)
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Rezension zu Unterleuten von Juli Zeh

Die analoge Welt des Dorfes

von RitaKoenig vor 8 Jahren

Rezension

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RitaKoenigvor 8 Jahren

In Juli Zehs „großem Gesellschaftsroman“ (Klappentext) „Unterleuten“ geht um ein (fiktives) kleines brandenburgisches Dorf. Um Einheimische und Zugereiste, um diejenigen, die sich seit der Gründung der LPG bekriegen und diejenigen, die aus Westberlin aufs Dorf ziehen und entweder Außenseiter bleiben wollen oder sich einmischen – ohne eine Ahnung davon zu haben, wie die Leute in Brandenburg, auf dem Dorf, denken, wonach sie sich sehnen, nach welchen Grundsätzen sie handeln. Mehr als dreißig Figuren treten auf und zum Teil wieder ab; elf von ihnen kommen im Verlauf der 635 Seiten selbst zu Wort. Dabei zeichnet Juli Zeh ein messerscharf beobachtetes filigranes Gespinst aus Freundschaft, Feindschaft, Verwandtschaft, Bekanntschaft – vor allem jedoch aus Abhängigkeiten. Sie analysiert meisterhaft Beziehungen und ihre Abgründe, in Liebe und Nachbarschaft.

Linda Franzen, Pferdeflüsterin aus Westberlin, richtet sich nach einem Ratgeber von Manfred Gortz „Dein Erfolg“ , als wäre es die „Bibel“. Andere Figuren halten sich in ihrem Denken und Handeln an den Bürgermeister, an die Gegenspieler Gombrowski oder Kron. Alle müssen sich entscheiden, denn ein Investor will getreu der von der Landesregierung herausgegebenen Parole „Erneuerbare Energien“ ausgerechnet am Dorfrand von „Unterleuten“ zehn Windkrafträder bauen. Wer wird gewinnen? Und zu welchem Preis? Das Eignungsgebiet gehört drei Parteien, die unterschiedlicher nicht sein könnten: ein Stück gehört Gombrowski, das andere einem Unternehmensberater aus Ingolstadt, der, angestachelt von den billigen Bodenpreisen im Osten, bei einer Auktion insgesamt 250 Hektar Land ersteigert, „verteilt über den halben Landkreis“, dazwischen ein Pärchen aus Westberlin. Er Vogelschützer, der dem zweiten Westberliner Pärchen das Leben schwer macht, weil er im Vogelschutzgebiet Zäune verhindern will, die die Pferdeflüsterin dringend benötigt. Eigeninteresse geht vor Allgemeininteresse, nicht nur bei den Zugereisten. Selbst Gombrowski, der ehemalige LPG-Vorsitzende und noch frühere Sohn eines Großgrundbesitzers, bleibt seinem Grundsatz: „Der größte Vorteil entsteht, wenn jeder bekommt, was er sich wünscht“ nur solange treu, wie alle und alles nach seinen Wünschen funktioniert. Sein Gegenspieler und früherer Brigadier der Pflanzenproduktion, der überzeugte Kommunist Kron, schweigt zu brisanten Vorgängen und hält damit die Fehde aus den 1950ern am Leben. Die Gerüchteküche am Gartenzaun, die Kneipe „Märkischer Landmann“ sind die anerkannten analogen Informationsquellen. (im Gegensatz dazu gibt es eine Website: www.unterleuten.de. Hier können das Dorf und die Bewohner besucht werden.)

Ein Kind wird entführt (oder scheint es nur so?), eine Barbiepuppe ohne Kopf auf einen Zaunpfahl gespießt, Autoreifen brennen an der Grundstücksgrenze, vergiften die Luft ganz materiell. Es gibt Morddrohungen und Mordgedanken, Unfälle und Tätlichkeiten, Tote und körperlich Versehrte. Verletzt werden schließlich alle: aus der geglaubten, gefühlten oder ersehnten heilen Welt gefallen. Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer. Mitten im Brandenburgischen. Ein Buch wie ein Film. So könnte es gewesen sein. Oder doch so ungefähr.

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