Cover des Buches Viviane Élisabeth Fauville (ISBN: 9783803141354)
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Rezension zu Viviane Élisabeth Fauville von Julia Deck

Der psychischer Verfall einer Frau, die alles verloren hat.

von Iudas vor 10 Jahren

Rezension

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Iudasvor 10 Jahren

Sie sind zweiundvierzig Jahre alt. Ein gerade mal zwölf Monate altes Kind wiegen Sie in Ihren Armen, während Sie in ihrem Schaukelstuhl sitzend in ihre leere Wohnung starren. Von ihrem Mann erst kürzlich verlassen, spüren Sie, wie Ihr Leben langsam zerbricht. Aber Sie wissen noch etwas ganz anderes. Eine schreckliche Tatsache. Ihr Psychoanalytiker ist tot. Und Sie haben das Messer gehalten, daß durch seinen Bauch schnitt.


»Sie sind am 15. Oktober ausgezogen, haben eine Kinderfrau gefunden, Ihren Mutterschaftsurlaub aus gesundheitlichen Gründen verlängert, und am 16. November, also gestern, haben Sie ihren Psychoanalytiker umgebracht. Sie haben ihn nicht symbolisch umgebracht, wie man irgendwann den Vater umbringt. Sie haben ihn mit einem Messer der Marke Henckels Zwilling, Serie Twin Profection, Modell Santoku, umgebracht.« (S.14)


Und nun irren Sie durch Paris, um mögliche Zeugen des Vorfalles zu finden und über ihre Beobachtungen auszufragen. Und die Polizei sitzt Ihnen im Nacken, da sie Sie für die Hauptverdächtige halten.


Viviane Élisabeth Fauville ist eine Frau mittleren Alters, die einen gutbezahlten Job hat und in einem der besten Arrondissements Paris’ lebt. Doch als ihre Beziehung in die Brüche geht, geht es auch mit ihrer seelischen Verfassung rapide bergab. Durch den Mord an dem Arzt und ihrer anschließenden Odyssee durch Paris wird das Spiel um ihrer Persönlichkeit immer verworrener und bald kann man gar nicht mehr wissen, was Realität und was Traum ist.


Dabei kommt das Erstlingswerk der französischen Autorin Julia Deck zuerst wie ein Kriminalroman daher, wie man ihn sehr oft liest. Doch zunehmend wird klar, daß hier viele sonst immer so klar festgesteckte Regeln eines hausüblichen Krimis auf den Kopf gestellt werden und man immer tiefer in einen Strudel gezogen wird, bei dem man nicht weiß, was an dem, was die Protagonistin zu berichten weiß, wirklich wahr ist. Sie verstrickt sich immer wieder in Widersprüche, scheint eine verzerrte Zeitwahrnehmung zu haben und scheint von psychischen Problemen getrieben.

Besonders charakteristisch und spannend sind die Perspektivwechsel. Dabei wird alles aus der Sicht der Protagonistin geschildert, aber sie wählt verschiedene Arten der Distanzierungen und Perspektivwechsel, um ihre Situation zu schildern. So findet sich der Leser im Wirbel um Ich-, Sie- und Es-Perspektiven wieder. Oder wie der Psychoanalytiker sagte: das Spiel mit dem Subjekt. Man merkt Vivianes verzweifelte Suche nach sich selbst an und ihren Kampf, diese Situation zu meistern, zu schildern und sich davon zu distanzieren, an.


Die Geschichte ist intelligent konstruiert und bietet einen besonders interessanten Wendepunkt, auch wenn man ihn an manchen Stellen schon durchschimmern sieht. Einfach zu lesen ist das Werk aber keinesfalls. Deck schafft es, den seelischen Verfall der Protagonistin auf sprchlicher Ebene besonders eindrücklich darzustellen. Aber gerade das, gepaart mit einem hypotaktischen Satzbau, der manchmal fast gedankenstromartige Züge annimmt, kann den Leser oft verwirren und lange Zeit nicht wissen lassen, was nun eigentlich gerade passiert. Zahlreiche Ortwechsel, die auch die wirre Odyssee durch Paris mit sich bringen, bringen Spannung, wirken aber manchmal recht lose verknüpft. Die Sprache ist äußerst nüchtern und rigide, wodurch eine enorme, unüberbrückbare Distanz zum Geschehen geschaffen wird. Dem Leser wird es unmöglich gemacht, auch nur die kleinste emotionale Verbindung zu einer der Figuren aufzunehmen. Sämtliche Akteure bleiben Schemen und erscheinen eher wie leblose Marionetten denn wie fühlende Menschen. Diese emotionale Distanz findet sich auch in der losen Aneinanderreihung von verschiedenen, nicht miteinander in Verbindung stehenden Taten der Protagonistin, die damit nur ihren tristen Alltag unterstreichen will. Zeitliche, räumliche oder logisch verknüpfende Wahrnehmungen sind Viviane durch ihre seelische Erkrankungen schon bald nicht mehr möglich – und das spiegelt sich in der Art und Weise, wie sie davon berichtet, immer wider.

Bedauerlicherweise gibt es besonders im letzten Drittel der Erzählung einen recht tristen Durchhänger, bei dem man als Leser zunehmend ermüdet. Die Geschichte tritt auf der Stelle, Informationen, die gegeben werden, haben nur bedingt zur Folge, daß es vorangeht. An diesen Stellen schaltet der Leser, auch besingt durch den verworrenen Schreibstil, schnell ab.


Im Grunde ist es ein eigentümliches Werrk, eines, das man so nicht allzuhäufig in den Regalen findet. Es ist auch kein Wohlfühlbuch, sondern eines, das sich mit der schwierigen Thematik psychischer Erkrankungen und dem Umgang damit befaßt. Dabei ist Julia Deck hoch anzurechnen, mit welchen sprachlichen Finessen sie diese bebildert und dem Leser vor Augen führt, ohne daß er es gleich merkt. »Viviane Élisabeth Fauville« ist ein Versteckspiel zwischen Realität und Wahn, daß im Mäntelchen eines Kriminalromans daherkommt und den Leser immer wieder überrascht und verblüfft zurückläßt.

Bedauerlich sind da nur die zeitweiligen Längen und Durchhänger, die man bei einem Büchlein von gerade einmal 140 Seiten nun gerade nicht erwartet. Empfehlenswert ist das Buch trotz einiger Makel und besonders Leser, die auf der Suche nach Erzählungen sind, die in die Psyche der Protagonisten abtauchen, werden hieran ihre Freude haben.

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