Cover des Buches Alles wird hell (ISBN: 9783956140242)
Buecherschmauss avatar
Rezension zu Alles wird hell von Julia Jessen

Odas Leben

von Buecherschmaus vor 9 Jahren

Rezension

Buecherschmauss avatar
Buecherschmausvor 9 Jahren

Leicht macht es Julia Jessen mit ihrem Debütroman weder sich selbst noch dem Leser. Auch wenn das Buch beginnt wie einer der gerade hoch im Kurs stehenden Coming-of-age-Romane.

Denn die Hauptfigur Oda ist zunächst keine besondere Sympathieträgerin. Sie ist sperrig, störrisch, eigenwillig. Hat

"Angst, dass ich alles einfach nur genauso mache wie alle anderen. Und dabei verblasse." "Es muss anders gehen mit mir. Es muss ja nicht besser sein. Nur anders."

Und in ihren Bemühungen, sich selbst und ihren Platz im Leben zu finden, was in ihrer eigenwilligen Familie sicher nicht ganz einfach ist, schießt sie oft über ihr Ziel hinaus. Das kann sich lediglich in eigentümlichen Tanzperfomances äußern, aber auch darin, dass sie auf der Hochzeit ihrer Tante den Bräutigam verführt.

Oda ist sehr reflektiert, aber ihr Denken kreist fast ausschließlich um sich selbst und ihr eigenes Verhalten sieht sie ziemlich unkritisch und rechtfertigt es stets vor sich selbst.
Das ändert sich auch nicht, wenn der Roman allmählich in die Geschichte der 40jährigen Oda übergeht. Diese ist in ihrer Beziehung eigentlich ganz zufrieden gewesen. Nun möchte ihr Freund Ulf aber kein zweites Kind mit ihr. Das wirft sie ziemlich aus der Bahn.
Ist das noch einigermaßen verständlich, so sind ihre Reaktionen darauf ziemlich unreif, nicht zuletzt die Wiederaufnahme ihres Verhältnisses mit dem Quasi-Onkel Niels (dem von der Hochzeit).
Überhaupt sind die Familienbande trotz aller Querelen und Zerwürfnisse immer präsent.

" Ja, Familie ist wie Musik, denke ich. Ein Zusammenspiel. Jeder mit seinem Instrument. So gut er eben kann. Und vorne dran steht der Notenschlüssel."

So ist "Alles wird hell" auch ein Familienroman. Ein Roman über eine recht eigenwillige Familie, in der besonders die Frauenfiguren sehr prägnant geschildert werden.

Julia Jessen schafft damit Charaktere, die man so bald nicht vergisst. Und das mit einer schönen, klaren aber auch poetischen Sprache.

Nur mit Oda und ihrem Hadern in der Lebensmitte konnte ich mich lange nicht anfreunden.

Aber da macht der Roman noch einmal eine Wende, die für mich ganz unvermutet kam und begleitet Oda bis ins hohe Alter. Zunächst als ihren schwer kranken Mann Ulf aufopferungsvoll pflegende Frau, dann als Witwe und schließlich aufs Sterbebett.
Das kam für mich recht überraschend, da die Autorin in keinem Abschnitt irgendwelche direkten oder indirekten Zeithinweise gibt. Eine irgendwie zeitlose Geschichte sozusagen.

Und da hat mich das Buch dann doch sehr für sich eingenommen. Die Geschichte rundet sich, Oda macht eine ziemliche Entwicklung durch.

"War es so? Es könnte so gewesen sein. Es fühlt sich an, als wäre es so gewesen."

Mehr können wir über das Leben eines Anderen nicht erfahren.


Es ist schon ein Wagnis, mit einem Roman, noch dazu mit einem Debüt ein ganzes Leben, die Entwicklung vom Kind bis zur sterbenden Frau, zu umfassen. Julia Jessen hat es sich damit nicht leicht gemacht. Aber es ist ihr gelungen.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks