Julia Kristeva als Sprachwissenschaftlerin, Literaturtheoretikerin, Psychoanalytikerin und Philosophin befasst sich mit der Zeichentheorie (Semiotik, wozu auch Sprache gehört) als Ursprung und ebenso Grund für menschliches körperliches Handeln (Spannungsfeld). Kristeva orientiert sich in ihrem Werk an Erkenntnissen Hegels, Freuds, Lacans, Kleins, Freges, Husserls, Heideggers und weiteren.
Sie bezeichnet den Zustand der Vorbedingungen des Spracherwerbs (beim menschlichen Säugling) als Chora. Diese existiert auch über die Phase des thetischen Einschnitts („Setzung der Bedeutung“) hinaus. Dieser Einschnitt wird mit ca. 6 Monaten beim menschlichen Säugling gesehen, interessanterweise parallel zur Aufnahme festerer Nahrung (Verknüpfung von Sprache und Körper), welche auch eine festere Ausscheidung bewirkt. Daraufhin beschäftigt sich die Autorin mit Lacans Spiegelstadium und mit Freuds Kastrationsangst. In ersterem wird der Ort des Anderen (als jeweils eigener Signifikant, erneut Zusammenhang mit Sprache) erkannt. Es wird nicht explizit erwähnt, aber auch nicht ausgeschlossen, und ich sehe die Ausführungen Kristevas sowohl für männliche als auch weibliche Individuen zutreffend - als geneigter Leser, wie bei der Freud etc. -Lektüre, einfach „geschlechtertauschlich“ durchdenken. Schließlich sind zu Beginn alle bisexuell. Bezüglich zweitem wird nach Überwindung also der Angst vor klitoraler Beschneidung (die es furchtbarerweise noch gibt, dies ist ein anderes und nicht zu verkennendes Thema) und hier nun Abschluss der elektralen Phase (spätestens in der Pubertät der Individuen) die Bedingung der „Chora“ für das gesamte Gelingen dieses menschlichen Entwicklungsabschnitts, in welchem zudem noch die „Doxa“ verstärkt zu Tage tritt, deutlich. Das Werk befasst sich mit dem Normalverlauf; es wird angesprochen, dass größere Abweichungen vom Zeit- oder Verhaltensraster, im Sinne einer Verneinung des vorhandenen Spannungsfelds, zumeist als Neurose oder Psychose definiert werden.
Auch im weiteren Verlauf wird die Chora erhalten bleiben; die aus dem ersten Lebensabschnitt des Menschen vorhandenen oralen Triebe sind gesellschaftlich als Substitut anerkannt (man denke an Kaugummis, Zigaretten, sonstige Mund- und Handbeschäftigungen, neuerdings das Smartphone, an dem momentan aber noch der Nuckel fehlt). Kristeva betont das Fehlen der Anerkennung der analen Triebe, dies wird in ihrem Werk sehr abstrakt erklärt, aber immer wieder aufgegriffen. Hierunter ist auch eine Abkehr vom Gedanken Platons, dass nur weibliche Wesen gerne empfangend und passiv sind, zu verstehen. Zwar sind wir noch keine Seepferdchen, aber eine Überarbeitung der Männlichkeitsdefinition ist im Rahmen der modernen Entwicklungen durchaus angebracht. Letztlich wird durch die Gesellschaft, durch die das Kind betreuenden Personen, im Laufe der Zeit festgelegt, was (öffentlich) zu tun und was zu unterlassen ist. Es genügt, sich dessen bewusst zu sein, um zunächst im Privaten für sich und sein nahes Umfeld zu entscheiden und im nächsten Schritt ggf. auch für eine Änderung der Regelungen im Außenbereich einzustehen (z. B. momentaner LGBT-Diskurs).
Interessant finde ich die Übertragung vom sehr Kleinen, hier der von Kristeva genannten redundanten DNA-Doppelhelix, mit beschriebenen Stasen (Staus jedweder Körperflüssigkeiten) und als notwendig erachteten Abfuhren, zum Großen, hier der Gesellschaft, mit durch den Kapitalismus verursachten Einengungen und möglichen Tendenzen zum Ausbruch. Beides kann man, übertragen oder direkt, anhand des Tocqueville-Effekts zur Diskussion stellen, der nach der französischen Revolution und vor der französischen Avantgarde-Literatur, die die Autorin ihren Untersuchungen zu Grunde legt (Lautréamont und Mallarmé), erstmals vorgestellt wurde.
Der Begriff der ‚Intertextualität‘ soll in Bezug auf die Avantgarde besser als ‚Transposition‘ bezeichnet werden - sich orientierend an Freuds Traumarbeit, am Aspekt der Verschiebung, erwähnt Kristeva die sehr ähnliche literarische „Vertauschung des sprachlichen Ausdrucks“, welche ebenso eine Deutung erfordert, um Bedeutung zu erhalten. Neben der Metapher, die einer Verdichtung anhand von Sprache gleichkommt, ist die in der betreffenden Literatur viel verwendete Metonymie das der Verschiebung entsprechende literarische Stilmittel des Symbolismus. Ob die, z. B. bei Baudelaire oder Proust verwendeten Synästhesien, einer individuellen oder auch gesellschaftlichen Energie-Abfuhr dienen können, wäre zu untersuchen.
Kristeva schlägt, fußend auf dem beschriebenen individuellen Spannungsfeld, welches sich in Wechselwirkung mit dem es umgebenden Kollektiv begibt, den Weg einer sozialistischen Revolution und Abkehr vom Kapitalismus vor. Der Kunst, und im vorliegenden Fall der Literatur, wohnt die Möglichkeit des mimetischen Effekts inne, durch welchen die Umsetzung ihrer Ergebnisse angestoßen werden kann, eine marxistische und vor allem säkulare Gesellschaft (Religionskritik nach Feuerbach und Marx, zweiterer Schüler von Hegel).
So kann „Die Revolution der poetischen Sprache“ performativ - wenn diese selbst revolutioniert wird - helfen, eine Revolution (oder vielleicht doch Reform?) DURCH die poetische Sprache zu bewirken. Die Situation seit 1978 (Erscheinungsjahr des Buches) hat sich eher entgegengesetzt entwickelt, aber die Frage, ob dies für Individuum, Sprache und Menschheit gesund ist, bleibt - legitimer denn je.