Cover des Buches Schöne Seelen und Komplizen (ISBN: 9783492057738)
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Rezension zu Schöne Seelen und Komplizen von Julia Schoch

Wie das Leben unveränderlich prägt

von M.Lehmann-Pape vor 6 Jahren

Rezension

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M.Lehmann-Papevor 6 Jahren
Wie das Leben unveränderlich prägt

Wer als Leser dazu neigt, sich zitierfähige Sätze, existenzielle Sätze, Anmerkungen zum menschlichen Sein und zur Bedeutung der eigenen Jugend-Geschichte für das gesamte weitere Leben gerne zu notieren, der sollte bei der Lektüre dieses Werkes einen ausreichend dimensionierten Block samt Stift bereitlegen.

Zwar nicht jeder Satz und nicht auf unbedingt jeder Seite, doch in ungewöhnlich hoher Dichte und Vielfalt bietet Julia Schoch in einer klaren, präzisen und immer genau auf den Punkt treffenden Sprache ein Kaleidoskop des Lebens, dass sie ihren diversen, miteinander enger bis lose verbundenen Protagonisten je aus ganz individueller, persönlicher Erfahrung heraus in den Mund legt.

Wobei der Anfang, der Rahmen des Werkes relativ einfach geklärt ist und dennoch in sich bereits kompliziertes Geschehen vereint. Wenn man um die Jahre der Wendezeit 1989 in genau jener prägenden Lebensphase der Jugend ein Gymnasium besucht, dass elitär und damit DDR-linientreu war, vom gesamten Alltag des Lebens und Umfeld bereits ja sich „in ein Leben gewöhnt hat“ und dann eine doch umwälzende Veränderung der Werte, Öffnung des eigenen Lebenswegs und einen zeitlich gedrängten, raschen äußeren Perspektivwechsel zu verkraften hat.

Neben den, gerade in diesen jungen Jahren, ja auch wichtigen „Kleinigkeiten“ des Lebens wie Freundschaft, Konkurrenz, Verliebtheit, Nähe und Distanz.

Es sind einige Personen, die Schoch in dieser Zeit im Buch begleitet und dann dieselben Personen Jahrzehnte später in ihrem persönlichen Rückblick auf das Leben vor Augen führt. Nicht in ellenlangen Monologen oder reflektierten Betrachtungen, sondern in dem, was diese Personen aus diesen Wurzeln heraus geworden sind und mit sich und miteinander erlebt haben.
Und gerade weil die 16 handelnden Personen im Roman so verschieden sind, von der „Paris verbundenen Romantikeren“ bis zum „in der Spielhalle sein Leben gelangweilt dahingleiten lassenden“ Lebensentwurf, bildet sich im Roman nicht nur die spezielle Geschichte von „DDR-Jugendlichen“ mit ihrer ganz eigenen Prägung ab, sondern ein Gutteil der gesellschaftlichen Gegenwart findet sich auf den Seiten des Romans wunderbar illustriert wieder.

„Ich müsste noch etwas Großes wagen. Eine Art Aufbäumen. Unbeholfen, stürmisch, nah an der Verzweiflung!“….Das zog mich runter, machte mich sogar regelrecht fertig“. Auf diesem Konzert in der Gegenwart, mit dem eigenen Sohn im gleichen Alter, wie man selbst damals.

„Ich bin abgeschnitten, was mal wichtig war, hat keine Bedeutung mehr…..auch nicht für mich selbst“. Was nicht nur auf das „abgeschnitten sein“ in der eigenen Jugend zutrifft, sondern einfach auch das Lebensgefühl nicht weniger Angehöriger einer Generation widerspiegelt. Die ihre netten, höflichen, netzwerkenden Kinder betrachtet und sich ernsthaft fragt, wo denn der eigene Kampf, der eigene Beitrag zum Leben eigentlich war.

„Vielleicht habe ich den Anschluss verpasst. Frage ist nur, den Abschluss woran“?
Fragt sich Ruppert auf seine Weise, wie auch die anderen, wie auch Lydia, nur aus ganz anderer Perspektive, im Blick auf den Schulfreund, mit dem sie inzwischen seit langer Zeit liiert ist.

„Wie der hinterhältige Ehemann in Gaslicht schafft er es jedes Mal, mich glauben zu lassen, ich sei unzurechnungsfähig“. Was das allgemein menschliche in starken Worten über lange Lieben und manche Beziehungen ist, demgegenüber das Spezielle an erlebter Geschichte schal schmeckt, die Fluchtversuche (nach Argentinien, damals, zumindest geplant) nicht umgesetzt wurden und nun die Vergangenheit, „sie pappt mir an wie Grieß“.

Lästig, unschön, aber nicht abzuschütteln.

Eine intensive Lektüre, die vielfach auf den Punkt trifft, die Prägungen und deren Folgen offenlegt, die zeigt, wie die Gegenwart wenig klare Orientierung bietet und wie schwierig es ist, sich von jetzt auf gleich dauerhaft in einer „neuen Welt“ zurecht zu finden. Bei der aber auch Längen nicht ganz vermieden werden können und nicht alle Handlungsweisen völlig überzeugend erscheinen.
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