Cover des Buches Die Hochhausspringerin (ISBN: 9783446260399)
booklovings avatar
Rezension zu Die Hochhausspringerin von Julia von Lucadou

Sehr lesenswerter Debütroman

von bookloving vor 6 Jahren

Rezension

booklovings avatar
booklovingvor 6 Jahren
INHALT
Riva ist Hochhausspringerin - ein perfekt funktionierender Mensch mit Millionen Fans. Doch plötzlich weigert sie sich zu trainieren. Kameras sind allgegenwärtig in ihrer Welt, aber sie weiß nicht, dass sie gezielt beobachtet wird: Hitomi, eine andere junge Frau, soll Riva wieder gefügig machen. Wenn sie ihren Auftrag nicht erfüllt, droht die Ausweisung in die Peripherien, wo die Menschen im Schmutz leben, ohne Möglichkeit, der Gesellschaft zu dienen. Was macht den Menschen menschlich, wenn er perfekt funktioniert?
(Quelle: Klappentext Hanser Berlin)

MEINE MEINUNG
Mit ihrem fesselnden und sehr beklemmenden Roman „Die Hochhausspringerin“ hat Julia von Lucadou ein äußerst gelungenes Debüt vorgelegt, das mit seinem komplexen Zukunftsszenario eine faszinierende Mischung aus Dystopie, Utopie und Science Fiction darstellt.
Angesiedelt ist die Handlung in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft in einer nicht näher benannten Metropole mit einem futuristischen Weltenentwurf, der keineswegs so weit von unserer Realität entfernt zu sein scheint. Die Autorin hat in ihrem Roman sehr anschaulich ein wahres Horrorszenario einer „Schönen Neuen Hightech Welt“ kreiert – einer durchgestylten Welt, in der Leistungsoptimierung, Erfolgsorientierung und Pflichterfüllung den Status der Menschen bestimmen und digitale Transparenz sowie extreme Überwachung den Alltag der Bevölkerung prägen.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die berühmte Hochhausspringerin Riva Karnovsky, die mit Fotoshootings und hochdotierten Sponsorenverträge als absoluter Megastar dieser lebensgefährlichen Trendsportart in den Medien gefeiert wird und von heute auf morgen beschließt, durch Totalverweigerung aus ihrem Leben als Vorzeigestar auszubrechen. Als eigentliche Protagonistin und Erzählerin lernen wir die junge Wirtschaftspsychologin, Hitomi Yoshida kennen. Diese hat den Auftrag erhalten, dem abtrünnigen Skydiving-Star Riva aus ihrer Krise heraus zu helfen, zu motivieren und schnellstmöglich wieder auf Linie zu bringen. Doch ihre Bewährungsprobe scheint sich in ein Desaster zu wandeln und Hitomis Leben gerät zunehmend aus den Fugen. Durch eingestreute Rückblicke in die Vergangenheit lernt man die Hauptfiguren und einige prägende Episoden aus ihrer Vergangenheit besser kennen. Äußerst faszinierend ist es, die charakterliche Weiterentwicklung und das Verhalten der beiden jungen Frauen mit zu verfolgen, die einander völlig fremd sind, deren Schicksal dennoch unzertrennbar miteinander verwoben ist. Durch die sehr distanzierte Figurenzeichnung ist es allerdings nicht einfach, sich gut in das Gefühlsleben und die Beweggründe der Hauptfiguren hinein zu versetzten, da sie sehr unnahbar, gefühlskalt und nicht übermäßig sympathisch wirken.
Nach und nach lässt uns die Autorin an der Seite von Hitomi in eine auf den ersten Blick nahezu perfekt wirkende, voll durchkommerzialisierte Welt eintauchen. Die anfänglich noch bruchstückhaften Einblicke in den Alltag enthüllen schließlich einen schockierenden Überwachungsstaat mit einer bis ins kleinste Detail durchorganisierten Klassengesellschaft. Denn der Status und die Sicherheit der auserwählten Stadtbevölkerung werden mit permanenter Überwachung, Kontrolle durch Dritte und Dokumentation erkauft. Ein Scheitern in dieser Welt geht zwangsläufig einher mit Prestigeverlust und der Ausweisung in die heruntergekommene „Peripherie“, dem Sammelbecken der unterprivilegierten Underdogs. Sehr vielgestaltig, ideenreich und stimmig hat die Autorin die verschiedenen Elemente dieser befremdlichen, emotionslosen Welt ausgearbeitet – mit Details, die teilweise auch schon in unsere Realität Einzug gehalten haben. Völlig nüchtern und ohne jegliche Wertung führt sie uns die ganze Bandbreite dieses pervertierten Lebens mit Performance-Reviews, diversen Rankings, Fitnesstrackern, Selbstoptimierung, von Algorithmen ausgearbeitete Datingseiten oder NostalgiaPorn vor Augen.
Äußerst gelungen ist der extrem nüchterne, prägnante Schreibstil der Autorin mit perfekt konstruierten Sätzen und sehr innovativ erdachten Technikbegriffen, der insgesamt hervorragend die gesamte kalte, emotionsarme Atmosphäre widerspiegelt und sehr gut zu den Hauptfiguren passt.

FAZIT
Ein fesselnder, atmosphärisch dichter Roman über eine beklemmende, düstere Zukunftsvision, die den Leser zum Nachdenken anregt.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks