Cover des Buches Der Lärm der Zeit (ISBN: 9783462048889)
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Rezension zu Der Lärm der Zeit von Julian Barnes

Kunst schaffen in einer repressiven Welt – aus dem Leben des russischen Komponisten Schostakowitsch

von Alais vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Mit der Faszination und der Schwermut der russischen Seele, wer sich gerne durch die russische Literatur liest, wird auch dieses Buch lieben

Rezension

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Alaisvor 6 Jahren
Julian Barnes erzählt in diesem Roman vom Leben des sowjetischen Komponisten Schostakowitsch im kommunistischen Regime. In einer Gesellschaft, in der es ratsamer erscheint, möglichst unauffällig zu bleiben, haben erfolgreiche Künstler im Rampenlicht es natürlich besonders schwer – und so fühlt Schostakowitsch mehr als einmal das Auge der Macht auf sich ruhen, muss sogar ein Telefongespräch mit Stalin höchstpersönlich bewältigen, wohl wissend, wie gestört und gefährlich dieser ist … Gerade das Beliebige der subjektiven Interpretation künstlerischer Werke kann zur Gefahr werden, da kann ein Komponist noch so überzeugt sein, ein patriotisches Werk geschaffen zu haben - wenn Stalin es anders sieht, gerät nicht nur die berufliche Karriere des Betroffenen in Gefahr ... Und tatsächlich zeigt sich Stalin bei einer Aufführung eines Werks von Schostakowitsch nicht gerade begeistert. Sofort stürzen Kritiker, auch diejenigen, die ihn zuvor gelobt haben, über das Musikgenie her – das Wort Volksverräter fällt und Schostakowitsch beginnt, um sein Leben zu fürchten …
Julian Barnes' Roman über den begabten Komponisten vermittelt sehr eindringlich das Gefühl, das Menschen haben müssen, wenn sie in einer repressiven Gesellschaft leben, in der sie über jeden kleinen Schritt, jedes kleine Wort, jede kleine Note nachdenken müssen und doch bei allem guten Willen Gefahr laufen, wegen kleiner Fehler oder einfach nur eines mangelnden Verständnisses ihrer Beobachter und Richter, eingesperrt zu werden oder gar ihr Leben zu verlieren. Ganz zu schweigen von der Angst um die Menschen, die man liebt und die man durch eine beabsichtigte oder unabsichtliche Heldentat, einen kleinen ehrlichen, ohne Nachdenken ausgesprochenen Satz, ebenfalls in große Gefahr bringen kann. Eine nervliche Belastung, die ich mir gar nicht vorstellen möchte ...
Die Erzählung wirkt sehr authentisch und natürlich kommt gerade deshalb die Frage auf: Was ist Wahrheit, was ist Dichtung? Der Autor gibt in einem Nachwort Hinweise auf seine Quellen, deutet aber auch daraufhin, wie schwierig es ist, verlässliche Quellen zum Leben unter einem solchen Regime der Unterdrückung zu finden. Dies wird auch schon im Roman deutlich, immer wieder muss Schostakowitsch Reden vorlesen und Artikel veröffentlichen, die er nicht geschrieben hat und die er auch nie freiwillig geschrieben hätte ... Andererseits konnte so Julian Barnes verstärkt sein schriftstellerisches Talent zeigen und (nein, keine alternativen Fakten, sondern:) eine tiefere Wahrheit herausarbeiten.
Ein lesenswerter Roman mit vielen bemerkenswerten Stellen, die mein Notizbuch für Zitate bereichert haben, beispielsweise: "Es gehört zu den vielen Enttäuschungen des Lebens, dass es nie ein Roman war, ob von Maupassant oder sonst jemandem. Höchstens vielleicht eine kurze Satire von Gogol." (S. 55)
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