Rezension zu "The Secret Files of Sherlock Holmes" von June Thomson
Neue Sherlock-Holmes-Geschichten von June Thomson. War ich schon von dem ersten von mir gelesenen Band nicht sonderlich begeistert, erwies sich diese Sammlung als noch enttäuschender.
Ich hätte mir wohl auch kaum ein weiteres dieser Bücher gekauft, hätten mich diese neuen Taschenbuchcover (die Serie wurde gerade neu veröffentlicht) nicht dazu verleitet.
So hübsch aber das Äußere auch anzuschauen ist, so wenig Substanz bietet das Innere.
1990 veröffentlicht war dies der erste Band, in dem June Thomson versucht hatte Holmes-Erzählungen im Geiste des Originals zu verfassen. Nun finden sich im Holmes-Kanon zahlreiche Fälle, die von Dr. Watson nur am Rande erwähnt werden. Thomson hat nun einige von ihnen genommen und sie mittels ihrer Phantasie ausgeschmückt bzw. aus den vorhandenen wagen Informationen fertige Geschichten kreiert.
Es gibt das obligatorische Vorwort, in dem berichtet wird, wie diese, bisher unbekannten, Schriften von Dr. Watson das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben.
Es amüsiert mich immer wieder, was für eine Mühe sich Autoren geben, um ihre Pastiches an den Original-Kanon anzupassen, während man ihren eigentlichen Geschichten diese kreative Energie leider nicht mehr ansieht.
Mag ja sein, dass dies Fälle sind, in denen Holmes glaubwürdig hätte ermitteln können, aber einer der Knirpse von den Baker Street Irregulars hätte ausgereicht, um die hier vorgestellten einfallslosen kriminellen Aktivitäten aufzudecken. Dazu hätte es den größten Detektiv aller Zeiten gar nicht gebraucht.
Worum geht es also in diesen Geschichten?
Um leider oft allzu triviale Verbrechen, begangen von nicht unbedingt brillanten Kriminellen.
Ein Oberkellner verschwindet spurlos. Sein Freund wendet sich an Holmes. War es Entführung, Mord oder gar etwas noch Schlimmeres? (Spoiler: Leider keines dieser Dinge, vielmehr erweist sich die Sache am Ende als selten banal.)
Ein alter Armeekamerad von Dr. Watson macht sich Sorgen, um seinen Sohn, der offensichtlich in schlechte Gesellschaft geraten ist. Holmes und Watson steigen in die Londoner Unterwelt herab, um gewieften Betrügern das Handwerk zu legen. Holmes verkleidet sich wieder einmal, und Watson muss es ihm gleichtun, was schon das Unterhaltsamste an diesem Fall ist.
Ein unbedarftes junges Fräulein nimmt eine Stelle als Hausmädchen an, die sich in Wirklichkeit als die Falle einer finsteren Zuhälterbande entpuppt.
Eine adelige Lady wird erpresst. Charles Augustus Milverton lässt grüßen. Leider auch eine Geschichte, die kaum der Rede wert ist.
Einzig die letzte Erzählung in der es um internationale Spionage geht vermochte einigermaßen zu überzeugen.
Ich betrachte mich zwar selbst als Traditionalist was Sherlock Holmes betrifft, aber neue Ideen könnten schon hilfreich sein, wenn man sich der Aufgabe annimmt neue Fälle für den Meisterdetektiv zu verfassen. Für mich waren diese Storys nicht jenen von Doyle ebenbürtig, wie so oft behauptet wird.
Hatte ich beim letzten Band noch gedacht, dass dort bereits gewisse Abnutzungserscheinungen aufgetreten waren und das Buch als etwaigen Ausrutscher abgetan, muss ich mich nun korrigieren. Offenbar ist diese erzählerische Ödnis von June Thomson so gewollt. Sie schreibt gänzlich risikofreie Kriminalliteratur, ohne Kontroversen, ohne Überraschungen und leider auch ohne Spannung.
Nur empfehlenswert für Sherlock-Komplettisten.