Tristan Campbell hat gerade seine Uni abgeschlossen als er ein merkwürdiges Schreiben aus England erhält. Darin wird ihm mitgeteilt, dass er möglicherweise der Erbe eines großen Vermögens sein könnte. Er wird darum gebeten, unverzüglich nach London zu reisen, um die genauen Bedingungen zu erfahren. Alles muss sehr vertraulich behandelt werden. Da Tristan immer von Europa geträumt hat und sogar europäische Geschichte studiert hat, willigt er ohne zu zögern ein.
1924 nimmt Ashley Walsingham an einer Expedition zum Himalaya teil. Obwohl die ohnehin schwierigen Umstände durch einen erbarmungslosen Sturm zusätzlich erschwert werden, soll der Gipfel des höchsten Bergs der Welt endlich bezwungen werden. Eine Entscheidung, die Ashley das Leben kostet. Sein Vermögen soll nun an seine große Liebe Imogen Soames-Andersson gehen, die jedoch vor Jahren spurlos verschwunden ist.
Achtzig Jahre später erfährt Tristan von seiner möglichen Verwandtschaft mit Imogen. Eine Verbindung, die jedoch erst bewiesen werden muss, um zu Ashleys Erbe zu führen. Tristan muss den Nachweis innerhalb von zwei Monaten auftreiben, denn sonst verfällt sein möglicher Anspruch. Entschlossen begibt er sich auf eine Spurensuche, die ihn nicht nur durch halb Europa führen wird, sondern auch durch tief in eine tragische Vergangenheit.
Vielleicht greift man zu Der stete Lauf der Stunden, weil man aufgrund der Beschreibung ein Werk im Stil von Kate Morton erhofft. Irgendwie geht es auch in diese Richtung, aber darüber hinaus. Der Klappentext lässt nur rudimentär erahnen, was das Buch bereithält. Inhalt und Leseerlebnis bieten soviel mehr als die wenigen Worte versprechen.
Es bedarf einer kurzen Eingewöhnungsphase, in der man mit dem ästhetischen und sehr detaillierten Erzählstil vertraut werden muss. In dieser Phase ist man versucht, die ein oder andere ausschweifende Beschreibung zu überspringen. Lässt man sich jedoch nicht abschrecken, wird man bald mit einem tiefgründigen und intensiven Leseerlebnis belohnt, das einen großen Sog entwickelt. Die vielen Details zeugen von intensiver Recherche und, als hätte Justin Go alle Orte persönlich aufgesucht. Das führt dazu, dass man einerseits sehr tief in die Historie und Handlung hineingezogen wird und sich andererseits den Figuren sehr nah fühlt. Außerdem werden viele historische, psychologische und philosophische Aspekte und Fragen aufgeworfen, so dass der Text in vielerlei Hinsicht reich ist.
Tristans Suche beinhaltet verschiedene europäische Länder und neue Bekanntschaften und wird von Hinweisen und Fundstücken geleitet. Im späteren Verlauf konterkariert sein Finderglück allerdings zunehmend die große Realitätsnähe, die von den vielen Details suggeriert wird. Nichtsdestotrotz begleitet man ihn gerne bei seiner Suche und ist gespannt, was er alles herausfinden kann und ob er letztlich erfolgreich sein wird.
Ashley und Imogens Geschichte ist ebenfalls sehr abwechslungsreich und führt von England, in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, bis nach Schweden und schließlich in den Himalaya. Hier erfährt man, was wirklich zwischen und mit ihnen passiert ist, worüber Tristan aber nur mutmaßen kann. Die Geschichte der jungen Liebenden ist sogleich fesselnd wie tragisch. Während man sich leicht in Ashley hineinversetzen kann, bleibt Imogen rätselhaft. Ihr Verhalten wird zwar erklärt, lässt sich aber nicht gänzlich nachvollziehen. Leicht hätte sie einen anderen Weg für sich und Ashley wählen können und das Schicksal aller Beteiligten ändern können. "Warum machst du das?" möchte man Imogen fragen. Dementsprechend hat man wenig Empathie, wenn sie die Konsequenzen ihres Verhaltens zu spüren bekommt.
Nachdem man regelrecht in der Geschichte versunken ist, erkennt man schließlich, wie wenig Seiten noch übrigbleiben, um die vielen Fäden zusammenzuführen. Der detailverliebte Stil macht es noch unwahrscheinlicher, nichtsdestotrotz hofft man das Beste. Doch Justin Go verweigert dem Leser die Genugtuung und wirft stattdessen bis zum Schluss immer neue Fragen auf, die dann nicht näher verfolgt werden. Und es stellt sich die Frage, warum der Autor das tut. Entweder hat er für viele Aspekte (seien wir ehrlich: die meisten) schlichtweg keine schlüssige Erklärung oder es macht ihm Spaß, seine Leser an der langen Leine zu führen. Was auch immer der Grund sein mag, es beeinträchtigt rückwirkend das famose Lesevergnügen und man fragt sich verstimmt, was einem das Ganze sagen soll.