Rezension zu "Haus der Wunder" von Justine Hardy
„Sehen Sie, mein Freund, vielleicht ist dies die einzige weltliche Sache, die Ihnen in Indien begegnen wird. Von Muslim-Hand auf Hindu-Stirn. Pandit Nehrus großer Traum hat sich nur in diesem winzigen Teil einer Blume verwirklicht.“
Die englische Witwe Gracie hat sich auf ein Hausboot im Kashmir zurückgezogen. Das Boot liegt am Grundstück ihres langjährigen Freundes Masud Abdullahs, der sich als Familienoberhaupt um die Belange der Familie im neuen stark muslimisch geprägten Kashmir kümmern muss. Um die alte Dame kümmern sich die stumme Suriya und ihre Tochter Lila. Diese hat durch Gracie eine englische Erziehung genossen, trägt keinen Schleier und wird von vielen Männern begehrt. Zu ihnen stoßt der englische Journalist Hal, der vom Leben im neu geordneten Kashmir berichten soll. Allerdings muss er feststellen, dass von Ordnung nicht die Rede sein kann.
Die Geschichte führt viele Charaktere gleichzeitig ein. Die alte Witwe Gracie trauert ihrem verstorbenen Mann und Sohn nach aber auch den alten Zeiten. Immer wieder ist sie verwirrt hat aber auch ihre lichten Momenten in denen sie melancholisch-philosophische Gespräche mit Masud führt. Dieser kennt einerseits die Zeiten vor der starken Islamisierung, ist andererseits ein gläubiger Muslim und sich seiner Verantwortung seiner Familie gegenüber sehr bewusst. Von der stummen Suriya erfährt der Leser wenig, während Lila immer wieder auftaucht, nicht immer aber eine Beschreibung ihrer Gedanken und Gefühle gegeben wird, sodass sie farbloser blieb als andere. Zu diesen anderen gehört ihr Cousin Irfan, der gegen seinen Willen in die Fänge der muslimischen Widerstandskämpfer gerät.
Die politische Situation im Kashmir nimmt insofern eine große Rolle ein, als dass sie das tägliche Leben ihrer Einwohner stark beeinflusst. Die ehemals friedlich zusammenlebenden Muslime und Hindus stehen sich sehr skeptisch gegenüber. Die Gesellschaft ist immer mehr gezwungen islamistische Bräuche anzunehmen. Nicht nur schränkt das die Rolle der Frau stark ein, auch die Männer werden durch die Gesetze des Korans beeinflusst. Das stark präsente indische Heer mutet wie eine Besatzung an und bringt eine Willkür mit sich, die den Tod Unschuldiger aber auch Vergewaltigungen und willkürliche Gewalt mit in die Geschichte bringen.
Unter Kashmir hatte ich mir eine farbenprächtige exotische Umgebung vorgestellt. Diese fand ich zwar in vielen Beschreibungen – besonders der Stadt, der Natur, des Essens und der Gewürze – wieder, der Krieg und die neue Ordnung haben aber einen Nebel der Hoffnungslosigkeit über den Beginn der Geschichte gelegt. Zusammen mit dem Verfall und den vielen Schicksalsschlägen der ehemals starken Gracie war dieser besonders bedrückend. Erst das Auftauchen von Hal hat einen Hoffnungsschimmer gebracht.
Das Ende war passend zur Geschichte sehr wehmütig. Besonders auch in Anbetracht der Tatsache, dass es in der Region immer wieder zu neuen Kämpfen gekommen ist.
Fazit: Ein Buch, das exotisch, melancholisch und schwermütig zugleich ist – nichtsdestotrotz sehr interessant.