Der deutsche Klappentext lässt einen glauben, dass es hier um die Geschichte eines jungen afrikanischen Mädchens geht - darum, wie schrecklich die muslimischen Traditionen für die Frauen dort sind. Beim Lesen war deshalb mein Fokus genau darauf gerichtet - fälschlicherweise, wie sich herausstellte.
Die erste Hälfte des Buches beschreibt Kadiatous halbwegs glückliche Kindheit und - relativ kurz - ihre frühe Verheiratung. Immer wieder kam mir der Gedanke: "Warum beklagst du dich - so schlimm ist das doch garnicht!"
Dann kommt ein relativ langer Teil, der sich mit ihrem Alltag in einer unglücklichen - aber keineswegs höllischen - Ehe beschäftigt, mit dem Kinder kriegen, Scheiden lassen, Karriere machen. Beim Lesen war ich irgendwie nicht ganz dabei - zu sehr war ich auf das Thema "Zwangsehe" fixiert.
Und im letzten Viertel hat mich die Autorin ganz verloren. Auf einmal ist nicht mehr ihr eigenes Leben das Thema, sondern das Leben ihres Sohnes in Amerika. Und dann geht es Schlag auf Schlag. Der Sohn wird ermordet, ein Riesen-Prozess, Rechtsstreitigkeiten nicht nur wegen des Mords sondern auch zwischen Vater und Mutter - ich habe nur noch überflogen ...
Leider nein. Das hat mir nicht gefallen.
Aber möglicherweise hätte man das Buch ganz anders lesen können: mit der richtigen Vorinformation versteht man die Autorin viel besser. Darum für euch - liebe zukünftige Leser - hier der Klappentext der englischen Originalausgabe "My Heart will Cross this Ocean":
Descended from West African kings and healers, raised in the turbulence of Guinea in the 1960s, Kadiatou Diallo was married off at the age of thirteen and bore her first child when she was sixteen. Twenty-three years later, that child–a gentle, innocent young man named Amadou Diallo–was gunned down without cause on the streets of New York City. Now Kadi Diallo tells the astonishing, inspiring story of her life, her loss, and the defiant strength she has always found within.
Der Mord an Amadou Diallo im Jahr 1999 löste ein großes Medienecho aus. "Polizisten erschossen unbewaffneten westafrikanischer Straßenhändler" - das war das Vorwissen der amerikanischen Leserschaft.
Die Autorin ist vor allem eines: Amadous Mutter! und sie schreibt im Vorwort: "Wenn es etwas noch Grausameres gibt, als einem Menschen das Leben zu stehlen, dann ist das, ihn seiner Geschichte zu berauben, die ihn zu etwas Besonderem macht".
Amadou war so vieles andere als der "unbewaffnete westafrikanische Straßenhändler" - er hatte eine Kindheit, eine Heimat, eine Familiengeschichte. Und Kadiatou ist so viel mehr als "die Mutter des unbewaffneten westafrikanischen Straßenhändlers" - sie ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau, hat in mehreren Ländern gelebt, und erfolgreich alleine ihre Kinder aufgezogen - sie will nicht einfach nur als ein "Mädchen aus dem Busch" gelten, mit dem der Exmann, die Anwälte und die Medien umspringen können, wie sie wollen.
Mit diesem Vorwissen hätte ich vielleicht mehr Sterne vergeben können.