Die Biografie von Kai Marchal, dem Autor des vorliegenden Buches, lässt sich wohl ohne Zweifel als außergewöhnlich bezeichnen: mit 20 Jahren geht er nach Heidelberg, um dort ein Studium der Sinologie zu absolvieren. Anschließend verbringt er fast drei Jahre in Paris bis es ihn dann als Sprachlehrer weiter nach Osaka zieht. Schließlich landet er in Taipeh, wo er mittlerweile seit über fünfzehn Jahren lebt und als Professor mit einem Lehrstuhl für chinesische Philosophiegeschichte unterrichtet.
In "Tritt durch die Wand und werde, der du (nicht) bist" verbindet der Autor seine Autobiografie mit Ausführungen zur chinesischen Philosophie. In einem Gespräch in der Fernsehsendung "Sternstunde Philosophie" erklärt er, dass das Buch in gewisser Weise ein Versuch ist, sich selbst besser zu verstehen. Der Titel verbindet einen Zen-Klassiker mit Nietzsche uns soll den Leser das "Gefühl des Überwältigtseins" spüren lassen, das er selbst erfahren hat, als er zum ersten Mal in China war.
Das Buch ist chronologisch gegliedert nach den einzelnen Stationen seines Werdegangs (s. erster Absatz). Jedes Kapitel enthält Abschnitte zu seinen persönlichen Erfahrungen und Eindrücken sowie zu Themen der chinesischen Philosophie. Zum Buddhismus (der ja auch aus Indien stammt) schreibt er recht wenig, Konfuzianismus und Daoismus sowie deren Verbindung stehen im Zentrum seiner Darstellungen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Philosophen Wang Bi, der im dritten Jahrhundert n. Chr. lebte und - obwohl nur 23 Jahre alt geworden - die drei wichtigsten Klassiker der chinesischen Literatur (Buch der Wandlungen, Daodejing und Gespräche des Konfuzius) kommentiert hat. Er gilt bis heute als wichtigster Vertreter des philosophischen Daoismus.
Eine Einschätzung des Buches fällt mir zugegebenermaßen recht schwer. Der Autor neigt zu ausschweifenden Darstellungen in Bereichen, die mir eher nebensächlich vorkommen. Dadurch erschien mir der Text oft langatmig und dementsprechend musste ich mich immer wieder aufraffen, die Lektüre nicht abzubrechen.
Sehr sympathisch empfand ich die Ehrlichkeit, mit der er über seine eigenen Erfahrungen spricht. Seine inneren Beweggründe für das intensive Befassen mit einer fremden Kultur und Sprache werden eindrücklich geschildert. Spannend finde ich auch seine Gedanken und Beobachtungen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der europäischen und chinesischen Kulturen und zu Entwicklungen der letzten Zeit.
Die philosophischen Inhalte sind sehr interessant. Über die Verbindung von Konfuzianismus und Daoismus habe ich in dieser Form bisher noch nichts gelesen. Kerngedanken der Traditionen werden gut deutlich. Ich hätte mir persönlich mehr Ausführungen zur chinesischen Sprache gewünscht und auch zum Thema der Übersetzung. Auf die Aussprache der zentralen Begriffe wird nur selten eingegangen.
3,5 Sterne
Spannende Inhalte etwas langatmig verpackt