Rezension zu "Die Rabentochter" von Karen Dionne
Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen, und so habe ich das Buch - trotz der nur mäßig spannenden Geschichte - schnell durchgelesen.
Die Idee klang vielversprechend: Rachel, eine 26-Jährige Frau, gibt sich die Schuld am Tod ihrer Mutter, da sie denkt, diese erschossen zu haben als sie 11 war. Seitdem lebt sie in einer psychiatrischen Klinik, quasi als selbstauferlegte Strafe. Erzählt hat sie aber in der ganzen Zeit niemandem, dass sie sich die Schuld gibt, so richtig erinnern kann sie sich nämlich nicht (und will es irgendwie auch gar nicht)-
Als sie einem jungen Journalisten (der Bruder ihres besten Freundes in der Klinik) ein Interview zu den Vorfällen gibt und dieser ihr den Ermittlungsbericht von damals zeigt, liest sie einen kurzen Satz, der ihre gesamten Erinnerungen ins Wanken bringt - denn eine 11-Jährige hätte die Mordwaffe niemals bedienen können.
Also kehrt sie zurück in ihr Elternhaus, natürlich ein riesiges, dunkles, von der Zivilisation abgeschnittenes Jagdhaus voller ausgestopfter Tiere und Waffen, das nun von ihrer 9 jahre älteren Schwester und Tante bewohnt wird, um die Wahrheit herauszufinden. Die ganze Story entwickelt sich ab da sehr abstrus. Man fragt sich vor allem, warum sie in 15 (!) Jahren nie auf die Idee gekommen ist, die Geschichte, die sie sich selbst zurechtgelegt hat, zu hinterfragen. So fest davon überzeugt gewesen kann sie ja nicht sein, wenn ein kleiner Satz plötzlich alles ändert.
In Rückblenden werden auch aus Sicht der (toten) Mutter die Ereignisse erzählt seit die Schwester 5 Jahre alt war (also 4 Jahre vor Rachels Geburt). Diese Perspektive fand ich viel spannender als die eigentliche "Gegenwartshandlung", auch wenn man sich echt oft an den Kopf packt, wie naiv die Mutter war. Diese Storyline hätte alleine stehend ein guter Psychothriller sein können.
Ihre als Psychopathin diagnostizierte ältere Tochter Diana tötet völlig gewissenlos Tiere und auch Menschen, einfach um zu gucken, was passiert. Sie bringt es aber nicht übers Herz, etwas dagegen zu unternehmen und redet sich permanent ein, dass sie sie ja so sehr liebt - gefährdet dadurch aber Rachel (seit Geburt an, da Diana ihr als Baby gerne mal ein Kissen aufs Gesicht gedrückt hat, bis sie aufgehört hat zu atmen) und ist indirekt auch Schuld am Tod ihres ungeborenen Sohnes (wer wandert denn mit einem psychopathischen Kind an den Rand einer Klippe?). Als sie dann etwas unternehmen will, ist es zu spät, weil die Tochter volljährig ist. Irgendwie hat sie auch ihren eigenen Tod (und den ihres Mannes) nahezu herausgefordert, weil sie 20 Jahre lang zugesehen hat, wie ihre Tochter skrupel- und empathielos durch die Welt rennt.
Nach dem etwa 300 Seiten langen Versteckspiel der Schwestern und einigen interessanten Enthüllungen der toten Mutter kommt es dann zum Showdown, bei dem plötzlich auf sehr wenig Seiten sehr viel passiert.
Das Buch ließ sich gut lesen, langweilig fand ich es nicht, man darf aber keinen zu ausgeklügelten Plot erwarten. Es war früh vorhersehbar, wie sich die Ereignisse zugetragen haben, ein überraschender Twist kam leider nicht. Ich finde es aber immer schwierig, wenn die gesamte Handlung auf einem kleinen Aspekt basiert, der irgendwie missverstanden, nicht richtig gelesen oder fehlinterpretiert wurde.