Wenn man sich tiefer mit der Flüchtlingsthematik beschäftigt und Bücher von Geflüchteten lesen möchte, wird man schnell feststellen, dass es bisher wenige Bücher gibt, die wirklich von den jeweiligen Geflüchteten geschrieben wurden und noch weniger, bei denen Männer die Autoren sind. Im Vorwort von Jad Turjmans „Wenn der Jasmin auswandert” geht Karim El-Gawhary genau auf dieses Problem ein. Dabei haben viele, die in einer sicheren Umgebung leben, Vorurteile gegenüber Geflüchteten, im Speziellen gegenüber Männern. „Ich würde für mein Land kämpfen” heißt es dann, oder „Wie kann man nur seine Familie zurücklassen, ich würde bei ihr bleiben!”
Jad Turjman geht in seinem Memoir auf diese Vorwürfe ein und erzählt von seiner Flucht aus Syrien. Er flüchtet vor dem Krieg nach Europa und muss sich auf eine gefährliche Reise ins Unbekannte begeben. Dabei beschreibt er bewegend von seinen Erlebnissen, Gedankengängen und Ängsten auf der Flucht und ist dabei sehr selbstreflektierend, auch in Bezug auf die eigene Männlichkeit.
In der Fortsetzung „Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt” erzählt Turjman von seiner Ankunft und seinem Einleben in Österreich und von seinen Bemühungen, den österreichischen Dialekt zu lernen. Dabei schreibt er sehr authentisch über seine Identitätsfindung als Geflüchteter und über seinen persönlichen Weg der Traumaverarbeitung.
Die Themen der Identität und der Suche nach Zugehörigkeit stehen im Zentrum dieses Buches. Turjman ist gezwungen, seine Wurzeln neu zu definieren und vermittelt die Komplexität dieses Prozesses auf eine einfühlsame und eindringliche Weise. Er zeigt uns, dass die Bedeutung von Heimat nicht nur von einem Ort abhängt, sondern auch von den Menschen, die uns umgeben und den Beziehungen, die wir knüpfen.
Die Liebe des Autors zu Syrien ist in jeder Zeile spürbar. Er beschreibt die Schönheit des Landes und die Essenz seiner Kultur mit leidenschaftlicher Präzision. Gleichzeitig spiegeln beide Bücher seine Verzweiflung angesichts des Leids und die Sehnsucht nach Frieden und seiner Familie wider.
Die mehr als 500 Seiten, die diese beiden Bücher umfassen (in dieser Ausgabe sind beide in einem Band), habe ich innerhalb kürzester Zeit gelesen. Dieser intime Einblick in die Gedanken und Sorgen Turjmans berührten mein Herz. Turjman durchlebt Ängste, Verlust und die ständige Suche nach Sicherheit. Doch trotz der Tragödien auf der Flucht findet Turjman auch Lichtblicke der Menschlichkeit und Solidarität inmitten der Dunkelheit. Sein Schicksal hat mich sehr mitgenommen.
Jad Turjman ist am 29.07.2022 bei einer Bergwanderung in den österreichischen Alpen tödlich verunglückt. Im Nachwort kommen Karim El-Gawhary, Vladimir Vertlib und Doris Brandl zu Wort und beschreiben einfühlsam Turjmans Wirken und Freundschaft.
„Mittlerweile liebe ich es, wandern zu gehen. Ich gehe am liebsten allein, und zwar immer auf denselben Berg. Ich weiß nicht, warum ich immer dieselbe Wanderstrecke nehme und für andere Wege nicht aufgeschlossen bin. [...] Wahrscheinlich ist das der Versuch, dieses eine Gefühl wieder erleben zu können: Heimat.”
Ich kann meine tiefen Empfindungen für beide Bücher kaum in Worte fassen, sondern sie euch nur von Herzen empfehlen. Turjman inspiriert uns, das Leid derjenigen zu erkennen und zu lindern, die durch Konflikte und Vertreibung betroffen sind.