Cover des Buches Bergsalz (ISBN: 9783426282083)
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Rezension zu Bergsalz von Karin Kalisa

Ein modernes Märchen

von Schmiesen vor 3 Jahren

Kurzmeinung: Eine berührende Geschichte davon, dass es sich immer lohnt, sich anderen Menschen zu öffnen. Einsamkeit kennt ein Heilmittel!

Rezension

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Schmiesenvor 3 Jahren
Es handelt sich hier um Leute, die sich seit Langem schon räumlich so auseinandergesetzt hatten, dass sie sich jetzt möglichst wenig auseinandersetzen mussten.

Als Franzi, wie jeden Mittag, in ihrer Küche steht und etwas Feines kocht, klopft es plötzlich an der Tür - und da steht eine Nachbarin. Eigentlich völlig undenkbar in einem Dorf, in dem jeder weiß, dass zur Mittagszeit nicht gestört wird, und in dem man sich zwar seit Jahrzehnten kennt, aber doch sicher nicht so gut, dass man einfach klopfen könnte! Doch Franzi lässt die Nachbarin herein, und so entsteht eine Idee, die das ganze Dorf näher zusammenrücken lässt, nachdem es vor so vielen Jahrhunderten gezwungenermaßen zerstückelt wurde.

Bei diesem Buch hatte ich durchweg zwei Gefühle: Hunger und Wohlbefinden. Was da gekocht wird, da läuft einem wirklich das Wasser im Munde zusammen! Und was da erzählt wird, das mutet an wie ein modernes Märchen. Manchmal fast zu schön um wahr zu sein, aber gerade in diesen Zeiten ist es heilsam, einfach einmal etwas Schönes, Hoffnungsvolles zu lesen. Und Traurigkeit gibt es dennoch genug.

Denn die Frauen, um die das Buch hauptsächlich geht, sind in tiefster Einsamkeit versunken. Sie leben in einem Dorf, in dem jeder jeden kennt, jedoch niemand mehr als ein paar Worte über das Wetter wechselt. Und das seit Jahrzehnten. Nun sind die Frauen allein, haben ihre Männer überlebt, die Kinder alle aus dem Haus, und was ihnen bleibt, ist eine riesige Küche und niemand, der darin essen will. Die erste, die einen Schritt tut, den keine andere je gewagt hat, ist Johanna. Sie erscheint bei Franzi, weint, und isst dann mit ihr. Und zum ersten Mal gibt es keine Reste bei Franzi, und irgendwann stößt noch eine andere Nachbarin dazu, und so entsteht aus dem Nichts eine kleine Kaffeegesellschaft. Franzi teilt sogar ihren für den Nachmittag eingeplanten Kaffee mit den anderen Frauen - auch wenn sie etwas steif anmerkt, dass sie jetzt 'halt keinen Kuchen hat'. So entsteht eine Dynamik, die den Frauen wieder einen Lebenssinn gibt. Die Runde wird immer größer, es müssen sogar Tische ausgezogen werden. Und immer kocht eine andere. Einladungen werden nicht herzlich, sondern in kühlem allgäuerischen Dialekt ausgesprochen, keine der Frauen gibt zu, wie sehr sie das alles genießen. Aber tief drinnen spürt man die Schönheit dieser Bewegung.

Und es geht noch weiter, denn irgendwann sind die heimischen Küchen einfach zu klein. Also warum nicht im alten Rössle kochen, wo jetzt die Geflüchteten leben? Die dürfen nicht selber kochen und bekommen ihr Essen in Styroporschalen vom Lieferanten. So greift also die Graswurzelbewegung der alten Damen um sich, zieht ihre Kreise und verbindet Altes (Knödel, Sauerbraten, etc.) mit Neuem (Hummus, Baklava, etc.). Klar, vielleicht läuft das alles etwas zu glatt ab, aber genau darin liegt für mich der Charme des Buches. Es darf auch einfach mal etwas gut laufen! Vor allem nach Jahren des Krieges, der Flucht und der Einsamkeit, die ja im Hintergrund der Geschichte stehen.

Im zweiten Teil des Buches verschiebt sich dann der Fokus, wir begleiten nicht mehr die Frauen, sondern erfahren von Sabina, der Tochter einer der Frauen. Sie kehrt traumatisiert aus einem Kriegsgebiet heim und wird langsam von den Frauen aufgepäppelt. Kalisa diskutiert in ihrem Roman also ganz unterschiedliche Sichtweisen und Themen, vom Kriegstrauma über die Entmündigung der Geflüchteten bis hin zur Revitalisierung eines Dorfes. Und das alles gelingt ihr in einer poetischen Sprache, die wunderschöne Bilder malt und in Verbindung mit dem gezielt eingesetzten Dialekt für ein richtiges Eintauchen sorgt. Kurze Zwischenepisoden führen sogar ins 16. Jahrhundert zur Bundschuh-Bewegung - hier erfährt man, warum die Dörfer so gespalten und die Häuser so weit weg voneinander sind - und insbesondere, warum die Leute sich so weit voneinander entfernt haben. Am Ende schließt sich der Kreis, alles fügt sich ineinander, man schlägt das Buch glücklich und zufrieden zu. So soll das sein in Zeiten wie diesen - etwas Schönes, Herzerwärmendes, das nicht in Kitsch und Drama verfällt. Großartig!


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