Herr Merse bricht auf von Karin Nohr.
von Ein LovelyBooks-Nutzer
Rezension
Sylt ist ja nicht jedermanns Sache, Strandkörbe auch nicht, dafür dürfte Herrn Merses Abenteuer auf der Insel mit Horn und den klugen Ratschlägen von Johannes Brahms umso mehr begeistern, als es etwaige Urlaubsziele vermögen dürften. Ich fühlte mich trotz Regensommer gleich beschwingt und Strand-versetzt, an der Seite Herrn Merses in seiner Lok, mit Stullen und Geschichten vom Minotaurus. Mein zweites Sommer-, Sonne-, Urlaubsbuch diesen Monat, mit uneingeschränkter Empfehlung oben drauf.
Doch so seicht und spielerisch die Geschichte von Herrn Merse auch anfangen mag, dies ist kein Liebesroman. Der Leser merkt das spätestens nach Seite 200, wo Karin Nohr unser Verständnis von ihrer Hauptfigur gehörig auf den Kopf dreht und aus dem sympathischen Hornisten einen tragischen Helden macht. Doch zu viel will ich hier nicht verraten, nur dass dieses Buch mehr zu bieten hat, als es der Klappentext zunächst andeutet. Ich selbst war überrascht, erfreut und habe mich etwas gewundert, dass ich nicht zuvor dem Ende auf die Schliche kam – so viel dazu.
Man verbringt die 280 Seiten zum größten Teil im Kopf der Hauptfigur, die etwas kurios, aber doch durchaus liebenswert ist, was ihr Ende noch herzzerreißender macht. Denn Herr Merse ist eine Figur, der man wünscht, sie möge sich emanzipieren. Die es sogar fast schafft, über sich hinaus wächst und dann doch wieder ganz klein zusammen schrumpft. Ein Fest für alle, die die Welt mal mit anderen Augen sehen möchten, mal mit Brahms über die Liebe philosophieren wollen und das alles vor der Kulisse des Insellebens zur Hochsaison.
Wem die Irrfahrt durch die Gedankengänge der Hauptfigur jedoch zu verkopft ist, wer sich nur schwer mit dem Gedanken eines unzuverlässigen Erzählers anfreunden kann, der möchte sich vielleicht doch zunächst an eine Leseprobe wagen. Denn dieses Buch und seine Hauptfigur sind solche auf die man sich ganz einlassen muss, oder man wird sie als sperrig, hier und da zwickend und die eine oder andere Druckstelle auf dem Gemüt hinterlassend empfinden. Doch wer will schon einen Roman auf Armeslänge lesen, es ist doch das Eintauchen in die Welt der Erzählung, welche uns danach greifen lässt.
Ein intelligenter Roman, der zu überraschen weiß, aber ab und an ein wenig verkopft sein kann.