Wer heute den Namen Karl Kraus hört, weiß in der Regel damit nicht allzu viel anzufangen, nur dass er hier und da erwähnt oder gar zitiert wird. Kraus (1874-1936) war u.a. der Gründer von Die Fackel, ein Kritikmedium, das bis heute noch seinesgleichen sucht und schrieb auch für den Simplicissimus, eine der führenden Satirezeitschriften im deutschsprachigen Raum.
Heute sind seine Bücher zwar überall zu finden, der Bildungsbürger hat sie wie Götzenbilder selbstverständlich im Bücherregal, doch das Lesen und die Auseinandersetzung mit dem Werk dieses einmaligen Wortakrobaten ist eine Mühe, dem sich nur die wenigsten unterziehen. Dabei ist das eine lohnende Entdeckung, nicht nur die Art und Weise, wie Kraus mit den Wörtern und deren Bedeutung umgeht, sondern auch der Scharfsinn und die ungemein detaillierte Formulierung sind etwas, das heute niemand mehr zustande bringt. Alles muss man auch im gesellschaftlichen und politischen Kontext des Ersten Weltkrieges und der drohenden Nazizeit sehen, erst dann wird die ganze Schwere und Tragweite der Kraus-Literatur richtig zu bewerten sein. Tucholskys Einschätzung, dass Kraus in Berlin wohl nicht überlebt hätte und es gut ist, dass er in Wien lebte, ist ganz sicher richtig, denn die Einlassungen des Denkers und Kritikers waren trotz ihrer stilistischen Finesse ziemlich eindeutig. Korruption, Doppelmoral und die Dummheit der Gesellschaft wurden gnadenlos aufgezeigt. Kraus war eigentlich eine Ein-Mann-Opposition, jederzeit bereit, auf dem Grat zu laufen und sich nie zu verbiegen.
Wer ihn allerdings als „Querdenker“ bezeichnet, hat sich nicht die Mühe gemacht, ihn zu verstehen. Oder war zu faul um mitzudenken. Für die Lektüre dieser hier zusammengetragenen „Kraus-Perlen“ braucht man Zeit, Geduld für die Details und eine Bereitschaft, sogar einzelne Sätze mehrmals zu reflektieren und zu lesen, damit auch nicht eine kleine Einzelheit verlorengeht. Denn die Kunst des Karl Kraus waren die Details, alles was man mit dem Wortsinn anstellen kann, hat er meisterhaft praktiziert.
Diese kleine Sammlung bietet Stoff für Stunden des Nachdenkens. Nichts für zwischendurch und in kleinen Häppchen zu genießen, damit man alles würdigen kann. Denn so einer wie Kraus fehlt heute und man kann sich nur mal wieder wundern, wie wenig sich die Menschen seit damals verändert haben, im Gegenteil, was seinerzeit schon das Negative der Gesellschaft ausmachte, hat sich noch ein wenig verstärkt. Insofern ist Kraus hochaktuell, gerade auch deswegen, weil noch niemand in seine Fußstapfen getreten ist. Essentiell!