Cover des Buches Lieben (ISBN: 9783630873701)
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Rezension zu Lieben von Karl Ove Knausgård

Rezension zu "Lieben" von Karl Ove Knausgård

von Stadtbuecherei_Wuerzburg vor 12 Jahren

Rezension

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Stadtbuecherei_Wuerzburgvor 12 Jahren
Nun ist er also erschienen, der zweite Band der auf sechs Bände angelegten Autobiografie des norwegischen Autors Karl Ove Knausgard. Wie bereits im ersten Band „Sterben“ besteht auch „Lieben“ aus der Erzählstimme der eigenen Persönlichkeit und handelt von nichts Geringerem als dem Leben selbst. Mittelpunkt des ersten Bandes von Knausgard war die Auseinandersetzung mit seinem Vater und der eigenen Herkunft. In Lieben schildert der Mittvierziger Knausgard nun sein Leben als Vater und seinen Beziehungs- und Familienalltag, die Suche nach seiner Identität als Schriftsteller und die schwierige Balance zwischen dem zurückgezogenen Leben als Schreiber und dem manchmal entbehrungsreichen Leben als Familienvater. Dabei erspart er dem Leser kein Detail seiner inneren und äußeren Lebenswahrnehmung und ist erfrischend ungeordnet in Zeit und Thema. Knausgard erscheint in diesem Buch wie ein Freund, mit dem man eben über alles sprechen kann, und berichtet schonungslos und unverstellt von seinen Erfahrungen. Alles ist authentisch und realistisch dargestellt, nichts scheint erfunden und der Brennpunkt dieses autobiografischen Romans ist die Kluft zwischen der Vorstellung, die man als Mensch von der Realität hat und der erfahrbaren Wirklichkeit. „Das Leben, das ich führte war folglich nicht meines. Ich versuchte es zu meinem zu machen. Das war mein Kampf, den ich ausfocht, denn das wollte ich doch.“ Dadurch wirkt Knausgards Schreiben so berauschend und ergreifend. Er erzählt von seinem Scheitern, von seiner tiefen Verunsicherung als Mensch und Schriftsteller, von seiner Sehnsucht nach dem Alleinsein. Von seiner verlorenen Fähigkeit, Fiktives zu schreiben, die seiner Meinung nach daher rührt, dass wir überall in unserem Leben nur noch von Fiktionen umgeben sind. Und somit ist dieses Buch erhaben über etwaige Vorwürfe der Indiskretion, des emotionalen Voyeurismus und der alltäglichen Banalitäten, die so mancher kritische Zeitgenosse hegen könnte. Doch sind es nicht nur die Schilderungen des Alltags mit seinen Routinen und der hohe Grad der Selbstreflexion, die so mitreißen, sondern auch die immer wieder überraschenden Einwürfe aus Gedanken und philosophischen Überlegungen zu einer Fülle von Themen: wie die Gesellschaft das Individuum in der Lebensplanung einschränkt, es uns aber als Freiheit verkauft wird; wie Genetik, Erziehung und Milieu auf die Persönlichkeitsbildung einwirken; über die menschliche Wärme einer Filmszene von Charlie Chaplin; über Musik; die hohe Kunst der Lyrik Hölderlins; über die Selbstauslöschung von Dostojewski; über Heidegger, aber auch über die Einfachheit der Dinge; was einen Mensch ausmacht; wie Kultur und Moral uns beeinflussen; über Konsumverweigerung; über unseren Anteil an der Welt und die Verbundenheit der Menschen untereinander und über den Sinn und Wert des Lebens. „ Es ist nicht so, dass wir gleich geboren werden und die Lebensbedingungen unsere Lebensläufe uns gleich machen, es verhält sich umgekehrt, wir werden verschieden geboren, und die Lebensbedingungen gleichen unsere Leben aneinander an.“ Oder wie Jean-Jacques Rousseau bereits vor fast dreihundert Jahren in seinen „Bekenntnissen“ schrieb und der in seiner schonungslosen Offenheit durchaus eine gewisse Affinität aufweist: “Der Mensch ist frei geboren und liegt doch in Ketten.“
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