Rezension zu "Das sowjetische Jahrhundert" von Karl Schlögel
Das Buch ist nicht nur wegen der aktuellen politischen Lage hinsichtlich des Angriffskrieges Russlands in der Ukraine, den massiven russischen Beeinflussungen Moldawiens, Georgiens etc. mehr als lesenswert!
Karl Schlögel schildert sehr fundiert alle, wirklich alle Aspekte des öffentlichen und vor allem auch des privaten Lebens in der Sowjetunion. Dank des 45 kleingedruckten Seiten umfassenden Quellenverzeichnisses natürlich überprüfbar.
Die Sowjetunion war im Grunde DAS imperialistische Staatengebilde. Ebenso wir das Britische Empire oder die Kolonialreiche der Spanier, Franzosen und Deutschen auf nichts anderem als Gewalt und Terror beruhend.
Während der Diktatur von Stalin und auf seine Befehle hin wurden zahllose Menschen grundlos ermordet. Direkt durch Erschießen oder durch Verhungern, Erfrieren, Krankheit in einem der zahlreichen Gulags.
Darunter hat die gesamte Bevölkerung mit Ausnahme der 'Apparatschiks' zu leiden gehabt. Die Auswirkungen dieser Diktatur haben sich in alle Bereiche des Lebens ausgewirkt. Egal ob Wohnsituation, Kultur, Versorgung mit Konsumgütern, egal was.
Der Autor erklärt nachvollziehbar, wie der Wandel von reinen Agrargesellschaften (Plural, denn die Sowjetunion war ein Vielvölkerstaat! Russland war lediglich in Teil, wenn auch der Größte davon) erzwungen wurde.
Spärliche Versorgung mit Lebensmitteln, gigantischer Auf- und Ausbau von Industrieregionen, die Lebensumstände in den Moskauer Kommunalkas (sehr großzügige 11-Zimmer-Wohnungen des Bürgertums im Jahr 1917 wurden in 22 Zimmer unterteilt, in jedem lebte eine mehrköpfige Familie, die Küche wurde von allen geteilt), Karl Schlögel beschreibt gut lesbar alle Auswirkungen des sowjetischen Kommunismus. Die überwiegend negativ waren.
Nebenbei erfährt man, dass Chanel No.5 nichts anderes ist als das Lieblingsparfüm der Kaiserin Katharina der Großen. Der Autor beschreibt wirklich alles, was die Sowjetunion ausmachte. Orden, Eisenbahn, Bürokratie, Packpapier, Palmen, Plattenbauten, monumentale Architektur, die der Machtdemonstration diente, Sowjetunion eben.
Das Buch mag den Ansprüchen eines wissenschaftlich arbeitenden Historikers nicht vollauf zu genügen. Nach der Lektüre der knapp 900 Seiten hat man aber eine gewisse Vorstellung und Ahnung davon, was in der Sowjetunion für Zustände herrschten.