„menschen irren sich oft. und sie machen dennoch unverdrossen weiter. allein dies macht sie zu etwas besonderem.“ (S.143)
Zum Inhalt: Der „Roman in Dokumenten und Novellen“, so der Untertitel des Bandes, präsentiert dem Leser ein in jeder Hinsicht buntes Kaleidoskop an Versatzstücken aus einem vielschichtigen Universum, in dem auch die erzählerischen Schwergewichte – im positiven Sinne zu sehen – um den PlanetenVilm oder jene von Galdäa beheimatet sind. Für die großen Herausforderungen, Abenteuer oder Waterloos braucht die Menschheit in diesem Universum nicht zwingend epische Raumschlachten oder gänzlich fremde Wesenheiten. Es ist die Zeit und somit die fortschreitende – oft auch forcierte – Entwicklung der eigenen Spezies die diese in ihrem Größenwahn („Grün: Im Sternzeichen des Rasenmähers“), ihrer Habgier („Ende der Jagdsaison auf Orange“), ihrer ignorant sorglosen Selbstgefälligkeit („Schwarz:Netz:Schwarz“) immer wieder in die Konfrontation mit ihren Dämonen treibt, welche auch über Äonen die identen bleiben, ganz egal wie weit die ausgeklügeltste Technik auch die Lebensumstände verändern mag.
Besonders angenehm fällt dabei auf, dass Karsten Kruschel keine moralischen Zeigefinger hebt. Er malt Szenarien. Szenarien deren potentielle Denkbarkeit und somit deren logische Gedankenkette stets nachvollziehbar bleibt. Ein Zitat welches mir bei den oft aussichtslos scheinenden Handlungssträngen stets in den Sinn kam war: „ich sage nur… Das Leben findet einen Weg!“ („Jurrasic Park“, Quelle: hier). Und eben dieses Leben in seiner Mannigfaltigkeit zu erdenken schickt sich Karsten Kruschel auf faszinierende, oft verblüffende Weise an. Anfangs, v.a. als Leser, dem die anderen Bücher Kruschels nicht bekannt sind, fragt man sich, welchen Zusammenhang denn nun die einzelnen Geschichten hätten, doch je weiter man liest, desto mehr reihen sie sich perlenkettenartig zu einem ineinandergreifenden Ganzen, was über die 278 Seiten verteilt zu mehrfachen Aha-Erlebnissen führt . Eine thematische Ähnlichkeit von „Grün: Im Sternzeichen des Rasenmähers“ mit einer Kurzgeschichte von Gottfried Meinhold „Liana Halwegia“ (Quelle:„Lichtjahr 3“) empfand ich als Leser in keinster Weise störend und Kreuzverweise oder subtile Anspielungen auf das „Vilm-Universum“, wie es mancherorts bezeichnet wird, machen Lust tiefer in Karsten Kruschels Schriftwelt einzutauchen. Lohnend ist dies allemal.
Aus dem Inhalt:
- Grün: Im Sternzeichen des Rasenmähers
- E-Mail von Landau an alle
- Rote Bonbons oder: Eskimos sind auch nur irgend so ein Feind
- Lexikoneintrag: Atibon Legba
- Violets Verlies
- Das Testament des Prof. Dr. Dr. H.C. mult Christofor Antonowitsch Juliette-Bugatti
- Ende der Jagdsaison auf Orange
- Rezension von »Raumfahrende Menschheit«
- Gelb wie Zwiebelgras, Jahre vor dem Frühlingsende
- Weiss: Der Ausweg Blanche
- Unvollständige Liste der unauffindbaren oder unauffindbar gewesenen Welten
- Schwarz:Netz:Schwarz
- Unwesentlicher Kommentar
Fazit: Fordernd, subtil vereinnahmend, angenehm komplex. Dies sind nur einige wenige Adjektive, die mir während und kurz nach der Lektüre der literarischen Versatzstücke aus der Feder Karsten Kruschels in den Sinn kamen. Einige der Erzählungen kannte ich – zumindest in einer Vorgängerversion – aus seinen früheren Veröffentlichungen, so z.B. „Ende der Jagdsaison auf Orange“ aus „Die Audienz“, „Violets Verlies“ aus der Anthologie „Emotio“ oder „Schwarz:Netz:Schwarz“ aus „Armageddon mon Amour“. Auf diese und noch andere textliche Vorgänger, resp. Hommagen wird auch in den Anmerkungen, am Ende des Bandes eingegangen. Kruschel zeichnet sich einmal mehr, seinem angenehmen Erzählstil stets treu bleibend, als fesselnder Weltenmaler von Geschichten intrinsischer Kohärenz aus. Seine schillernden Visionen schaffen ein in sich stimmiges, jedoch keineswegs konfliktfreies Bild bestechender visionärer Schärfe, durch das hindurch nicht selten ein wachrüttelnder Blick auf Entwicklungsstränge des Hier und Jetzt aufblitzen. Dies zeichnet ihn als einen jener Autoren aus, die in der Tradition klassischer SF verwurzelt den nächsten Schritt gehen, welche solides schriftstellerisches Handwerk mit einer schier endlos erscheinenden Fantasie zu paaren vermögen und welche Texte in einzigartiger Qualität entstehen lassen. Ein rundum empfehlenswertes Buch, welches man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur einmal liest.
Zum Buch: Ernst Wurdack ist mit dem Cover ein bildnerischer Aphorismus gelungen, der den Texten nicht besser hätte gerecht werden können. Nicht nur diese ästhetische Seite, sondern auch die verarbeitungstechnische ist ausgezeichnet gelungen. So ist der saubere Druck auf griffigem Papier realisiert welches einen solide verleimten Buchblock ausmacht, der bei der Lektüre weder knickt noch bricht. Die Typographie ist in angenehm großer Schrift gehalten und lässt ohne Extravaganzen den Text wirken. Ein künstlerisch sehr schön gestaltetes und handwerklich gut ausgeführtes Paperback.