Rezension zu "United Queerdom" von Kate Charlesworth
Inhalt:
Kate Charlesworth wird 1950 in Groß Britannien geboren und wächst in einem konservativen Umfeld auf. Früh bemerkt sie, dass sie anders ist und als lesbisches Mädchen vieles geheim halten muss, denn für ihr Umfeld ist es undenkbar, dass sie queer ist. Als Künstlerin findet sie jedoch im Laufe der Zeit Mitte und Wege, um sich auszudrücken und entdeckt eine blühende, queere Gemeinschaft, die zumeist im Verborgenen existiert, denn Homosexualität ist in Groß Britannien lange strafbar. Über viele Jahrzehnte erlebt Kate die queere Bewegung hautnah, zeigt, welche Fort- und teilweise Rückschritte sie miterlebt hat und welche Auswirkungen dies alles auf ihr eigenes, von Höhen und Tiefen geprägtes Leben hat …
Eigene Meinung:
Das 320 Seiten starke Buch „United Queerdom“ erschien erstmals 2019 unter dem Titel „Sensible Footwear: A Girl’s Guide“ in Großbritannien und ist eine Mischung aus einem historischen Sachbuch und einer Biografie der Künstlerin, aufbereitet in einer künstlerischen Form, mal als Collage, mal als Comic. Die deutsche Ausgabe erschien im Herbst 2023 im Carlsen Verlag und schlägt mit 32,-€ zu Buche.
Das Buch ist in verschiedene Zeitepochen aufgeteilt und beginnt ca. 1950, dem Jahr in dem die Künstlerin zur Welt kam. Auszugsweise erfährt man etwas über ihre Kindheit und Jugend, ihre Familie und ihr Leben in einem kleinen, konservativen Dorf in Groß Britannien. Während Kate nach und nach heranwächst, bekommt man auch Einblicke in die allgemeine Entwicklung der queeren Kultur, die aufgrund diverser Verbote im Verborgenen ausgelebt wird. Viele bekannte Persönlichkeiten finden in den Collagen Erwähnungen, die die verschiedenen Etappen aus dem Leben der Künstlerin einläuten – aber auch unbekanntere Personen, Ereignisse und Gruppierungen, finden einen Platz in „United Queerdom“. Dies gibt Lesenden die Möglichkeit ein wenig tiefer in die queere Geschichte Groß Britanniens einzutauchen und eine neue Sicht auf die Entwicklung zu gewinnen. Zudem erfährt man auch mehr von Kate Charlesworth, denn ihre Vergangenheit steht im Fokus der eigentlichen Geschichte – ihr Heranwachsen, ihr Leben als Künstlerin, die vielen Berührungspunkte, die sie mit der queeren Szene ab den 70er Jahren hatte. Es ist durchaus spannend, sie auf ihrem Weg zu begleiten und durch ihre Augen die Entwicklung der queeren Szene zu erleben.
Was die Lektüre ein wenig anstrengend macht, sind allerdings die Zeichnungen. Kate Charlesworth hat einen sehr eigenen, kantigen, teils skizzenhaften Stil, der es Lesenden mitunter nicht leicht macht, den Ereignissen zu folgen, zumal die Künstlerin keine kontinuierliche Geschichte erzählt. Stattdessen gibt sie kurze Einblicke in ihr Leben – mal sind es wichtige Gespräche mit Eltern, Freunden oder Bekannten, mal prägende oder besondere Ereignisse. Diese werden je nach Umfang auf wenigen Seiten dargestellt, teils mit sehr vielen Panelen, was einige Seiten recht voll und unübersichtlich wirken lässt. Auch fällt es schwer, die einzelnen Personen auseinander zu halten oder im Gedächtnis zu behalten, so dass man mit der Fülle an Namen, die genannt werden auch in Verbindung mit den Illustrationen wenig anfangen kann. Hinzu kommen die zeitlichen Sprünge ins Jahr 2019, in der sich die Künstlerin mit ihren Freund*innen an die Zeiten zurückerinnert, als sie jünger waren, wen sie gekannt hatten und wie sie die Zeit erlebt haben. So interessant diese Gespräche grundsätzlich sind, sorgen sie doch für zusätzliche Verwirrung, da man gar nicht so genau weiß, um wen es sich bei den Figuren handelt.
Auch die Collagen, die neue Abschnitte einläuten wirken mitunter sehr voll gestopft – optisch (durch teils realistische teils comichafte Bilder) und sprachlich (viel Text, der kreuz und quer gesetzt wurde). Die Fülle an Informationen sind mit der Zeit erschlagend, was zur Folge hat, dass nur wenig von den teils interessanten Fakten wirklich im Gedächtnis bleibt. Hier wäre es schöner gewesen, den Seiten mehr Struktur zu geben und sie übersichtlicher zu gestalten und den ein oder anderen Fakt ein wenig ausführlicher zu gestalten, anstatt möglichst viele Punkte auf einer Doppelseite abzuhandeln.
Fazit:
„United Queerdom“ von Kate Charlesworth bietet eine interessante Mischung aus Graphic/Comic Biografie und der LGBTQIA+-Geschichte von 1950 bis heute, die vom Grundkonzept her durchaus spannend und innovativ ist, jedoch in der Umsetzung nur bedingt überzeugen kann. So schön es ist, mehr über unbekanntere Persönlichkeiten und Ereignisse der queeren Entwicklung bzw. Szene von Groß Britannien zu erfahren, so schwer fällt es Lesenden der Geschichte zu folgen, die Personen auseinander zu halten und den Ereignissen zu folgen. Insgesamt wäre es besser gewesen, hätte die Künstlerin auf die oder andere kleine Geschichte verzichtet und sich stattdessen auf einige, wenige Schwerpunkte aus ihrem Leben konzentriert, anstatt die Graphic Novel so voll zu packen.
Wer dennoch Interesse an der Entwicklung der britischen, queeren Szene hat und gerne einige unbekanntere, schillernder Persönlichkeiten kennen lernen will, sollte dennoch zugreifen – „United Queerdom“ enthält einen Fundus an spannenden, informativen Einblicken, die kaum ein anderes historisches Sachbuch zu bieten hat.