Jess wünscht sich nichts sehnlicher als in einen Kurs von Lorna Clay zu kommen, allein ihretwegen hat sie sich die Universität ausgesucht, an der sie seit kurzem studiert. Als sie nicht nur von der Professorin bemerkt, sondern auch noch so etwas wie eine Vertraute für sie wird, ist Jess überglücklich. Auch privat findet sie schnell Anschluss - ein netter junger Mann, eine coole Mitbewohnerin ... und deren faszinierender Freund.
Die erste Hälfte des Buches hat mir außerordentlich gut gefallen. Schreibstil, Dialoge, Thema, Aufbau - das alles ist genau nach meinem Geschmack. Eine junge Frau, die sich laut Klappentext auf der Uni neu erfinden will; jetzt will sie endlich jemand anders sein; jetzt will sie ihr altes Ich hinter sich lassen - so ist es zwar nicht wirklich, aber was man bekommt, ist sowieso viel besser: eine junge Frau, die bereitwillig beeinflussbar ist, nahezu um eine Aufnahme im Kurs ihrer Lieblingsprofessorin bettelt und ihrer neuen besten Freundin den Freund ausspannt, ohne groß darüber nachzudenken. Sicher nicht sympathisch, aber dafür umso interessanter. Mir hat es gefallen, herauszufinden, in welche Probleme sich die Hauptfigur hineinmanövriert und wie sie da wohl wieder herauskommen wird. Das Buch war auf meiner 12für23-Liste gelandet und das Einzige, dem ich eine glatte 5-Sterne-Bewertung zugetraut habe.
Herausgekommen sind weniger, und das liegt hauptsächlich an der zweiten Hälfte der Geschichte.
Der Plottwist etwa in der Mitte des Buches hat mir schon nicht sonderlich gefallen. Zwar intensiviert sich damit die Beziehung zwischen Jess und der Professorin, und Jess zieht es damit auch immer weiter in eine gewisse Abhängigkeit hinein, doch die Richtung bzw die Thematik mochte ich nicht und war auch sehr klischeebeladen. Dazu kommt, dass ich einen weiteren für die Geschichte sehr einschneidenden Plottwist durch die wirre Erzählweise viele Seiten lang gar nicht erst geschnallt habe. Und mit dem hat mich das Buch noch weiter verloren. Es ist, als müsse hier unbedingt ein Dark Academia-Fass aufgemacht werden für Leute, die es ohne die offensichtlichen Zutaten für Dark und noch viel Darker nicht kapieren.
Schade.
Fazit: Glücklicherweise passt durchgängig der schöne Schreibstil und die guten Dialoge, denn in der zweiten Hälfte des Buches hat mich die bis dahin sehr gute, hintergründige und am Bodensatz von Coming-of-Age kratzende Geschichte verloren. Das, was in der ersten Hälfte aufgebaut wird, will nicht recht zum Rest passen, der plötzlich ganz laut Dark Academia ruft, falls man es in den leisen Tönen überhört hat. Von mir bekommt "Die Lügner" 3,5***.