Cover des Buches Loslassen (ISBN: 9783890294810)
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Rezension zu Loslassen von Katharina Finke

Solider Helfer - falls man auf den Gedanken kommen sollte aus der gewohnten Umgebung auszubrechen

von JazzH vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Solider Helfer - falls man ebenfalls einmal auf den Gedanken kommen sollte einfach so aus der gewohnten Umgebung auszubrechen

Rezension

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JazzHvor 7 Jahren
Meine Notizen zu allen Kapiteln, die ich während dem Lesen festgehalten habe: (Anmerkung an die Autorin, die das womöglich liest: Es ist wie wohl erwartet positive und negative Kritik hierbei vorhanden. Allerdings denke ich, dass sie durch ihre jahrelange Erfahrung in ihrer Arbeit, die zu einem großen Teil daraus besteht den zu materialisierten Westen zu kritisieren, mit meiner kleinen Kritik umzugehen kann.)



Titelbild:
Das Cover ist sehr schön gestaltet. Ich würde beim Buchhändler (ich verzichte aus Prinzip auf Amazon, weil ich solche Bedingungen nicht unterstützen möchte) sofort auf das Buch aufmerksam werden, gerade weil es so sehr auffällt mit dem in weiß gehaltenem Hintergrund zwischen den vielen anderen Neuerscheinungen - meist Thriller, die immer in dunkleren Tönen gehalten werden. Allerdings hätte es mich gefreut, wenn die drei Bilder, die für die Schrift des Titels verwendet wurden, ebenfalls in dem Buch komplett abgebildet worden wären, da sie wirklich gut gelungen sind.



Frage: Wo ist das erste Bild entstanden? Das zweite scheint mit New York Times Square zu sein und das dritte die chinesische Mauer.



Kapitel 1:
Ein interessanter Einblick in die großen Fragen zu dem Buch: Warum und wie der Wunsch, das Verlangen nach dem Reisen aufgekommen ist und finanziert wurde. Ich habe das Buch gestern erhalten und direkt mit in die Bahn genommen, wo ich nach 40 Minuten so gefesselt war, dass ich meine Endstation verpasst habe und eine Station wieder zurückfahren musste - habe allerdings meinen Anschlusszug noch erreicht. Ein Tipp also an alle Leser: Lieber nicht in der Bahn lesen. Inhaltlich hat es mich erstaunt, wie viel Finke in ihre zwei Koffer gepackt hat. Wenn ich auf solch einer "Mission" unterwegs wäre, würde ich wohl eher keine zwei Mäntel, Schals, Jacken, ... einpacken.



Kapitel 2:
Ich musste mich mit dem Schreibstil sehr mühsam anfreunden, da ich von vornherein nur davon ausgegangen bin, dass es in dem Werk ausschließlich um die fünf Jahre Reisen ab 2012 gehen würde - seit der Trennung von Arjun. Allerdings hat Finke in dem Werk all ihre Reisen von ihrem 18. Lebensjahr an dokumentiert. Das "FsJ" in England konnte ich ja noch als erste große Reise nachvollziehen, aber die Studienmöglichkeiten und Entscheidungen fand ich eher unnötig.



Kapitel 3:
"Immer weiter" war für mich eine persönliche Lehre: Journalismus ist ein harter Job. Ich kenne mich gut genug, um zu wissen, dass ich zu faul bin, um hart zu arbeiten. Denn ich gehöre definitiv eher zu den Menschen, die ein festes Einkommen haben wollen und dafür bei Reisen die Reise wirklich genießen können, ohne Sorgen über die Miete für den nächsten Monat zu haben, da ich dann nicht wirklich abschalten könnte. In diesem Kapitel wurde mir zudem zusehends die Protagonistin unsympathischer, da ihr scheinbar alles, was sie beginnt auch erfolgreich und problemlos gelingt. Es scheint einem als Leser fast so, als ob sie keine Angst vor Risiken hat - weil ihr eh klar ist, dass ihr nichts passieren kann - als hätte sie einen Pakt mit dem "Glücksboten" getroffen (Was war der Preis? Ich will das definitiv ebenfalls! ;)) Denn wenn es sich hierbei um einen Roman handeln würde, würde ich den Realitätsbezug stark anzweifeln und kritisieren. Da dies aber das wahre Leben von Finke ist, muss ich vor ihr meinen Hut ziehen und sage: Chapeau! Es ist kaum zu glauben und lässt mich sprachlos zurück. Ich bin fassungslos fasziniert vor deinem Talent. Dass Finke für drei Monate in New York lebt ohne vorher die Wohnung abbezahlt zu haben erscheint mir jetzt aber wirklich sehr unrealistisch, da ich auch eine Weile in New York gelebt habe und da eigentlich nichts geht ohne Vorauszahlung und Kaution. Zudem mag ich es persönlich nicht, wenn man in einem auf das echte Leben basierende Werk so viel wörtliche Rede einbaut, da man sich doch niemals an so viele genaue Wortlaute exakt erinnern kann.



Kapitel 4:
Über die Bezeichnung "umweltfreundlich" im Bezug zum neu besorgten Fahrrad und den Coffee to gos in einem extra mitgebrachtem Thermobecher musste ich stark schmunzeln. Bei so viel Treibstoffverbrauch durch das viele Fliegen, ist das ja wohl ein Scherz von Finke. Denn sonst erscheint mir das Umweltbewusstsein bei ihr genauso heuchlerisch wie das von Leonardo DiCaprio.
Persönlich hätte ich in Indien dem Ashram eine Chance gegeben - definitiv mehr als drei Tage durchgehalten und einfach Disziplin trainiert. Man muss einfach auch mal im Leben etwas durchziehen, auch wenn es dann doch nicht so einem zumutet wie man es sich vorgestellt hat, einfach weil es um das Prinzip geht, weil man sich etwas vorgenommen hat. (Bestes Beispiel: Wenn du abnehmen willst, sei einfach mal konsequent und iss weniger und treib mehr Sport - alles andere sind nur faule Ausreden). Womöglich hat Finke hierbei verpasst zu lernen, dass man mit weniger Essen und Schlaf auskommt. Ich persönlich esse immer einen Monat im Jahr nur einmal am Tag, um mir ins Bewusstsein zu bringen, wie dankbar ich doch eigentlich sein sollte. Und zum Thema Schlafmangel: Ich kann jedem empfehlen eins, zwei Wochen weniger als gewohnt zu schlafen - man verändert das Bewusstsein, die Persönlichkeit und hat viel mehr Zeit und Energie. Allerdings lässt das schnell nach und man wird aggressiv und verrückt (Fata Morganen lassen grüßen). Deshalb wirklich nur bis zu zwei Wochen hin und wieder testen. Auch, dass ihr im Ashram nicht gefiel, dass viele Mönche sich dem Schweigegelübde verschrieben haben, finde ich einen sehr interessanten Punkt - ganz im Gegensatz zu Finke, die davor nur verschreckt geflüchtet ist. Ich denke, dass die Menschen auch zu viel mit Worten um sich werfen. Jeder will mehr sagen und hat mehr zu sagen als der andere. Schon beim Kommunizieren will man konkurrieren, dominieren, gewinnen. Dabei heißt es doch Schweigen ist Gold. Heutzutage werden Introvertierte fertig gemacht - wobei wohl sie die Intelligentesten unter uns sind, da sie mit wenigen Worten auskommen und wenn sie etwas zu sagen haben auch einen Standpunkt vertreten. in ihren Worten steckt Qualität, in den von den meisten Menschen nur zerkaute Philosophie, die sie selbst nicht verstehen und hauptsächlich Klatsch und Tratsch.
Einen Moment schweigen, in sich kehren und innere Ruhe finden, hätte Finke wohl schnell gelehrt, was ihr Herz im tiefsten Punkt sich eigentlich wünscht. Nämlich einen Monat eine Pause, Erholung vom Reisen. Aber sie wollte immer mehr konsumieren.
Das Geld für Buenos Aires für eine Woche hat sie umsonst sich auf den Kopf gehauen. Aber wenn sie schon mal den Fehler begangen hat und das auch bemerkt hat, hätte ich erneut Disziplin von ihr erwartet und das durchgezogen, was sie von Argentinien erwartet hatte.
Ein Pluspunkt: Finke gewinnt bei mir wieder an Sympathiepunkten, da ihr doch nicht alles Glück der Welt vergönnt ist, da ihr Dinge (die ich nicht spoilern werde) doch nicht immer auf Anhieb klappen und sie damit sehr hadert.
Außerdem zweifle ich langsam an dem wirklichen Glück ihres Lebensstils, da sie ja scheinbar nur am Arbeiten ist und gar nicht richtig reisen, leben und erleben kann (insbesondere in NY). Das Leben scheint mir zu ermüdend, da ist ja der frühzeitige Burnout schon fast vorprogrammiert. Da ist der altbewährte Gedanke der Sicherheit doch ansprechender, da ich nicht von einem Monat zum nächsten ins Ungewisse leben will. Was, wenn man mal mehr als 2000 Euro benötigt? Sie scheint mir in dem Punkt noch viel zu sehr von den Eltern abhängig zu sein. Denn wenn ihre Eltern ebenfalls solch ein Leben bevorzugen würden, würde sie sich ihr Leben so sicherlich nicht finanzieren können, weshalb ich davon ausgehe, dass man für solch ein Leben doch eine Sicherheit benötigt: Das von sehr wohlhabenden und unterstützenden Eltern.


Kapitel 5:
Die Entscheidung zur Festanstellung war mir klar. Niemand wird wohl verzichten können bei so einem Angebot. Wer einmal dort war, wird wohl ganz sicher infiziert mit dem Suchtvirus nirgendwo mehr leben zu wollen und können als in der Stadt der Städte schlechthin.
Was ich mich persönlich frage ist, wie die positiven Reaktionen zu all ihren Reiseberichten Finkes persönliche Mail Adresse ausfindig machen konnten.
Zudem erscheint es mir erneut etwas unrealistisch an wie viele orientalische Speisen sie sich erinnern kann, die von der Familie ihres Freundes zubereitet wurden.


Kapitel 6:
Das Land in dem es hier geht ist wirklich nichts für mich - aber das wusste ich schon vor dem Lesen. Das Essen (ich bin ebenfalls Vegetarierin), die Mentalität und die Überwachung sagt mir einfach nicht zu und da sie mir in den Punkten ähnelt, fand ich es etwas abstrus, dass sie in dieses Land reisen wollte. Denn ich mag wie Finke Freiheit und Ungebundenheit. Aber vor allem mag ich es kleine, illegale Kavaliersdelikte zu begehen. In diesem Land hätte ich allerdings viel zu viel Angst davor für diese Lappalien die Todesstrafe zu erhalten. Außerdem ist mir der Smog zu viel des Guten. Ich suche mir meine Freunde nach Nicht-Rauchern aus. Warum also die saubere Lunge zerstören? Für den Ausblick, der nicht existiert? Wozu reisen, wenn man nur grau sieht? Meine Gesundheit ist mir zu wertvoll für die Abgase der Produktion von unnötigem Materialismusexport pur.


Kapitel 7:
Positiv: Finke sieht rückblickend ein paar Kritiken, die ich hier erwähnt habe selbst ein und will diese verändern.
Über den Begriff "heimatlose Konsumkritikerin" musste ich erneut schmunzeln, da in diesen zwei Worten so viel Falsches steckt.Jemand aus Syrien hat die Heimat verloren und wird sie nie wieder zu Gesicht bekommen, wie sie einst einmal war. Und sie kritisiert vielleicht Materielles, aber sie konsumiert dafür für ihr Ego, den sie mit all ihren reisen nur noch mehr bestärkt. Allein die eine halbe Seite (209) besticht nur von all ihren bisherigen bereisten Zielen. Angeberalarm! Sie kritisiert Touristen, weil sie selbst sich überall integriert hat, will aber unbedingt dem Leser das auch so rüberbringen. Das wirkt sehr heuchlerisch, überheblich und arrogant, da sie die Mehrheit der Menschen damit beleidigt und gleichzeitig von ihnen Bewunderung für ihre Perfektion haben will. Sie will ein Vorbild sein, versagt in vielen Punkten in ihren Standpunkten dabei allerdings leider kläglich.


Fazit:


Solider Helfer - falls man ebenfalls einmal auf den Gedanken kommen sollte einfach so aus der gewohnten Umgebung auszubrechen.


Anmerkung: Ja, ich habe vom Schweigen gesprochen und selbst so viel geschrieben, allerdings schreibe ich generell nicht so lange Rezensionen. Das hier ist wohl eine Ausnahme und meine bisher längste.
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