Rezension
Um es gleich vorweg zu nehmen, für mich war dieses Buch ein einziges Ärgernis. Zehnjährige, die sich für das Konstruktive Misstrauensvotum gegen Willy Brandt interessieren, Kröten Anfang der Siebziger über die Straße tragen…da war wohl der Wunsch der Autorin Mutter des Gedanken. Oder, und das scheint wesentlich wahrscheinlicher, mussten bestimmte Verhaltensweisen den Kindern zugeschrieben bzw. so hingebogen werden, dass es erkenntnisleitend dem Narrativ entsprach, das die Autorin dem Roman zugrunde gelegt und auf dem sie ihn aufgebaut hat.
Katharina Fuchs stützt sich in „Unser kostbares Leben“ auf ihre persönlichen Erlebnisse und möchte davon ausgehend die allmähliche Sensibilisierung Jugendlicher für umweltpolitische Themen beschreiben.
Der Handlungszeitraum erstreckt sich über die siebziger und achtziger Jahre, Handlungsort ist eine hessische Kleinstadt, in der im wahrsten Sinn des Wortes viele schmutzige Geheimnisse unter der Oberfläche lauern. Stellvertretend für die junge Generation lässt sie uns am Leben von Caro, Alter Ego der Autorin, Tochter aus dem gutem Haus eines Schokoladenfabrikanten, Minka, ihre Freundin und Bürgermeisterstöchterlein, sowie Claire, ein vietnamesisches Waisenmädchen, teilnehmen. In den über 600 Seiten kommen jede Menge Themen auf den Tisch: Vergiftete Flüsse, skrupellose Medikamententests an Schutzbefohlenen, das Leid von Versuchstieren, die Klüngeleien der Honoratioren, die in Gutsherrenmanier die Fäden im Städtchen ziehen.
Viel Stoff, aus dem man einen lesenswerten Roman über diese Zeit hätte stricken können. Die Betonung liegt auf hätte, denn leider ist es der Autorin weder gelungen, die Atmosphäre dieser bleiernen Jahre einzufangen (die Nennung einiger Markennamen und allseits bekannter Ereignisse genügt leider nicht), noch konnte sie, bedingt durch ihren distanzierten Umgang mit dem übergroßen Personentableau, ein Interesse an der Entwicklung der Protagonistinnen schaffen. Dazu kommen die vielen unnützen und überflüssigen Informationen (wollt ihr wissen, wie der Prozess des Conchierens abläuft?), die zwar den Umfang aufgebläht, dafür aber immer wieder das Tempo gedrosselt haben und absolut Null zum Fortgang der Geschichte beigetragen haben. Des Weiteren habe ich so meine Probleme mit der Sichtweise der Autorin, die es offenbar nur der gebildeten oberen Mittelschicht zutraut, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, denn die Perspektiven der „normalen“ Menschen fehlen fast vollständig. Den Vogel schießt allerdings die Betroffenheitsprosa im letzten Abschnitt des Buches ab, in dem der Bogen zur Gegenwart geschlagen wird. Ein weiteres überflüssiges Detail dieses Romans, der meine Erwartungen in keinster Weise erfüllen konnte.