Cover des Buches Erst wenn du tot bist (ISBN: 9783833310287)
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Rezension zu Erst wenn du tot bist von Katharina Höftmann

Ein fundierter und handfester Krimi zum Nachdenken und Wohlfühlen und Mitermitteln! WOW!!!

von Floh vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Ein absoluter 4 Sterne + Auftakt mit einer ganz anderen Ermittlerrolle! Großartige Idee und super Umsetzung! Krimi mit Psychodrama.

Rezension

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Flohvor 8 Jahren
Ein Buch für alle, denen gute Recherche, Atmosphäre, ein angenehmer Schreibstil und eine sympathische Heldin wichtiger sind als durchgehende, nervenzerreißende Spannung.

Es gibt sie einfach, die Bücher, die gleich durch einen vielversprechenden und von der Masse abweichenden Klapptext, direkt neugierig machen, begeistern und den Spannungsliebhaber gleich in den Bann ziehen. Mit „Erst wenn du tot bist“ von der engagierten und ambitionierten (Krimi-) Autorin Katharina Höftmann hält man ein solches Buch in den Händen. Ein Buch, wenn es denn erst einmal in die Hände der neugierigen Leser gelangt ist, sicherlich nicht mehr so schnell zur Seite gelegt wird. Denn wer sollte sich besser und intensiver in dem Thema Kriegsgebiete, Journalismus und Auslandskorrespondenz auskennen, als eine Person, die in diese Richtung studiert hat, Berufserfahrung aufweist und viele Referenzen bietet? Das beste Fundament für einen spannenden Krimi, der ganz anders daherkommt, wie seine Konkurrenz in den Regalen der Spannungsliteratur…
Erschienen im Berlin Verlag (http://www.berlinverlag.de/)

Warum habe ich dieses Buch gelesen?
Der Klapptext hat es mir hier angetan, er macht mich neugierig und klingt vielversprechend. Einen Krimi mit einer besonderen Ermittlerin, wie ich ihn so noch nie gelesen zu haben schien. Außerdem hat mich die Vita der Autorin sehr neugierig gemacht. Wieviel von ihren Erfahrungen und Erlebten werden wir in diesem Krimi wiederfinden? Die Perspektive einer Kriegsreporterin, die eine Auszeit sucht, klingt verlockend und verheißungsvoll.

Inhalt:
„Fanny Wolff, 34 Jahre, ehemalige Kriegsreporterin, leidet unter Panikattacken. Also krempelt sie ihr Leben kurzerhand um, zieht zurück nach Stralsund und heuert bei den Ostsee-Nachrichten an. Kaum dort angekommen, spült der Sund ihr eine Leiche vor die Füße. Melanie Schmidt, junge Mutter zweier Kinder, schwierige Verhältnisse, wurde wohl ermordet. Der ermittelnde Kriminalkommissar ist ausgerechnet Lars Wolff, Fannys Zwillingsbruder. Er zeigt sich alles andere als begeistert über ihre Einmischung, doch Fanny lässt Melanies Geschichte, ihr Leben zwischen Jugendamt und Hartz IV, zwischen Partywochenenden und tiefster Depression nicht los. Ob mit oder ohne Lars: sie ist fest entschlossen, den Mörder zu finden.“

Übersicht:
Erzählstil: Ich-Erzähler, Präteritum; Personaler Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Fanny), einzelne Kapitel aus männlicher Sicht und einigen Rückblenden und Flashbacks (Fanny, Lars, Melanie)


Stärken:
+ Schreibstil:
Obwohl ich nach den ersten zwei Kapiteln mit einer gewissen Erwartungshaltung ("Ist sicher langatmig und ausufernd") an dieses Buch heran gegangen bin, konnte mich jedoch nach wenigen weiteren Seiten der besonders angenehme, nahe und intensive Schreibstil der Autorin Katharina Höftmann sehr überzeugen. Man merkt hier einfach, dass sie weiß, wovon sie spricht, worauf sie hinaus will und wie man Leser an die Seiten bindet. Routiniert, gewissenhaft, begeisternd, emotional und stets im indirekten Dialog mit ihren Lesern, denen sie vor allem Fanny ganz nahe stellt. Ein gelungenes Stilmittel in der Umsetzung. Katharina Höftmanns Schreibstil ist sehr angenehm, bildhaft und doch nie zu kompliziert, obwohl die Ereignisse äußerst komplex und schleierhaft sind. Besonders hervorheben möchte ich die wichtigen (Lebens-Botschaften, die die Autorin in ihrem Plot verwebt und die sie auch mit angeführten berühmten und weniger berühmten Zitaten anführt. Manches Mal enthält ihr Schreibstil neben der Schwere des Falls und den nebulösen Missständen auch schöne, wahre Sätze, die es sich herauszuschreiben lohnt.


+ Charaktere:
Die einzelnen Personen, die die Autorin mit bestimmten Psychogrammen und stimmigen Charakterstudien belegt hat, fügen sich gut in das Gesamtbild des Krimis. Sie stehen stellvertretend für einen aktuellen Bezug zur Gegenwart und bieten sogar etwas Gesellschaftskritik. Zwillingsbruder Lars, die tote Melanie, Fanny Wolff selbst und die klischeehaften Stralsunder, die Freunde und Nachbarn, die Dörfler und die weitreichenden Nebenrollen… Sie alle waren gut ausgearbeitet und überzeugend. Eine Mischung aus Gut und Böse, wie man sie gern in einem Krimi findet, der schnell zum Schubladendenken animiert und den Leser damit womöglich auf eine falsche Fährte lockt… Mehr verrate ich nicht. Sie alle aber haben ihre Geheimnisse und Vergangenheiten und Altlasten. Als Leser wird man immer wieder damit überrascht.

+ Hauptperson:
Fanny Wolff - das Beste, bzw. die Beste in und an diesem Buch, diesem Auftakt zu einer großartigen Ermittlerreihe fernab des Mainstream. Wer mich kennt, weiß, dass ich eine gelungene Gratwanderung aus Privatleben der Protagonisten und deren Ermittlungsweisen und Weltanschauung immer gern lese und erlebe. Dieses Kunststück gelingt der Autorin Katharina Höftmann ganz wunderbar. Da Fanny fast in meinem Alter ist, bin ich ihr allein dadurch schon besonders nah. Den Rest erledigt der gelungene und verbundene Schreibstil und die Art, wie Fanny den Lesern langsam aber sicher vorgestellt wird. Fanny ist ein unglaublich sympathischer Mensch, die mich schon in den ersten Kapiteln mit ihrer Art um den Finger wickeln konnte. Warum? Fanny wirkt stark, taff, selbstsicher und voller Tatendrang. Obwohl sie auch ihre Last auf den Schultern trägt. Als Kriegsreporterin hat sie viel erlebt und gesehen und nie die Zeit gefunden, all diese Eindrücke zu verarbeiten. Das soll sich ändern und sie krempelt ihr Leben um, anstatt nur zu jammern und zu nörgeln. Jeder ist seines Glückes Schmied. Doch Fannys neue Ruhe in der Heimat währt nicht lang und sie muss sich neuen Herausforderungen stellen und sich zudem mit ihrem Zwillingsbruder Lars ein Kopf- an Kopf Rennen liefern. Fanny lehnt Alkohol, Drogen und Gewalt entschieden ab. Das lobe ich ihr, aber auch Fanny hätte ich bei einigen Entschlüssen und Entscheidungen am liebsten gepackt und in eine andere Richtung gelenkt. Gerade diese Ecken und Kanten machen sie so interessant und möbeln den Plot gehörig auf.

+ Setting:
Die Atmosphäre ist so gut aufgebaut, dass man sofort erkennt, wo die Autorin aufgewachsen ist und dass sie den Nordosten Deutschlands wie ihre Westentasche kennt. Katharina Höftmann kennt das Touristenleben im Dorf. Das Misstrauen ist fast greifbar und all die verschiedenen Charaktere findet man in ähnlicher Form sicher in einer typischen Dorfgemeinde. Das macht die Autorin wirklich sehr gut: Katharina Höftmann reduziert das Setting und die Schauplätze auf das Wesentliche, denkt sich keine unübersichtliche Welt aus, sondern kreiert einen einfachen Schauplatz mit liebevollen und aussagekräftigen Details, der sofort im Kopf Gestalt annimmt. Ihr Stil besitzt Lokalcharakter, ohne wie ein typischer Regionalkrimi zu erscheinen. Sie spielt eher auf gesellschaftliche Themen, die regional bezogen sind. Die Schere aus Arm und Reich, Flüchtlingspolitik, Ost-West-Gefälle, Psychische Erkrankungen, Liebe, Familie, Soziologische Beweggründe, Paranoia etc. Auch das Opfer Melanie Schmidt trägt dazu bei, dass sich Fanny in gewissen Milieu Kreisen bewegen muss, um Antworten auf die offenen Fragen zu finden. Diesen Wechsel aus Schauplatz und Kulisse und den Windungen des menschlichen Denkens und strategischen sowie emotionalen Handelns verwebt die Autorin gekonnt mit ihren unterschiedlichen Settings. Respekt. Da kommt die Journalistin durch.

+ Idee:
Die Idee für diesen Krimi ist wirklich super. Wie gesagt, mich hat der Klapptext sofort angesprochen. Ich denke auch, dass die Autorin mit ihrer eigenen Vita viel Einfluss auf das Gelingen der überzeugenden und authentischen Charaktere und der Handlung hatte. Katharina Höftmann hat sicherlich viel eigen Erlebtes und Gesehenes verarbeitet und so auf einen emotionalen, rasanten, tiefgründigen und nachdenklichen Krimi mit einem unüblichen Thema gemünzt. Die Zusammenhänge, die sich ergeben, werden verblüffen und man will nur noch eines: Weitere Antworten in hoffentlich genauso guten weiteren Fällen für Fanny und Co. Wie ich irgendwo las, kam der Autorin, die schon andere Krimis geschrieben hat, bei der Arbeit und Recherche für einen Artikel die Idee, diesen Kriminalroman zu schreiben. Und das merkt man auch. Dieser Krimi steckt nämlich voll interessantem, mir vollkommen neuem Wissen und vielen Facetten. Wirklich faszinierend, was es alles gibt und geben könnte. Für die Recherche bekommt die Autorin auf jeden Fall einen Daumen hoch!

+ Wendungen:
Die Autorin überrascht allein schon dadurch, dass ihr Krimi nicht mit einem standardmäßigen Prolog beginnt, sondern mit Kapitel 0. Das ist die erste Überraschung, die im Vergleich zu dem verblüffenden Ausmaß des Todesfalls (Mordfalls) und den damit einhergehenden Ermittlungen, Recherchen, Ermittlungsschritten, Befragungen, Zeugen und Abgründen, die sich auftun, rein gar nichts ist. Die Autorin Höftmann überrascht nicht nur in Bezug auf Opfer-Täter-Status, sondern auch in Bezug auf die sonderbaren Ermittlungswege – und Einflüsse. Zudem spielen zwischenmenschliche Konflikte eine große Rolle und die aktuelle Politik und gesellschaftliche Lage und der Status. Die Autorin steht permanent im indirekten Dialog mit den Lesern und lenkt diesen unwillig in gewisse Richtungen, um ihm neue Türen zu öffnen, oder ihn gegen die Wand fahren zu lassen. Spannendes Rätselraten garantiert!

Schwächen:
- Spannung:
Obwohl der Einstieg leicht fiel und es außer Zweifel stand, dass ich das Buch begeisternd und sicherlich wegen der Lesefreude und euphorischen Leseenergie rasch beenden würde, gab es doch so manchen Teil, in dem die Spannung nachließ. An solchen Stellen hätte man vielleicht ein bisschen kürzen können, damit der Krimi noch knackiger wird. Es gibt Spannung, aber wenig Nervenkitzel, aber es ist ja auch kein Thriller, auch wenn er sehr psychologische Facetten enthält, die auf einen Psychothriller hindeuten könnten. Hier findet man kaum bis keine blutigen Szenen oder bestialische Handlungen, hier findet man das pure Entsetzen auf einer anderen Ebene.

- Hauptprotagonistin:
Jaja, die liebe Fanny. So sehr ich sie auch mag und so sympathisch sie mir auch ist. In manchen Situationen habe ich mich einfach gewundert, wie diese Frau so unüberlegt und impulsiv handeln kann? Manchmal passte es auch einfach nicht zu ihren Panikattacken und Ängsten. Da gab es für mich kleine Widersprüche in ihrer Person.

- Showdown / Finale:
Da „Erst wenn du tot bist“ ein Auftakt zu einer Reihe ist, und ich erst kürzlich erfahren habe, dass Reihen ein offenes Ende haben und nach einer Fortsetzung dürsten; und nur Serien an sich einzeln ineinander abgeschlossen sind, dürfte ich hier die losen Fäden und unbeantworteten Fragen und Ereignisse nicht kritisieren. Doch hätte ich mir einen etwas runderen und zufriedenstellenden Schluss gewünscht. Der Fall wurde geklärt, klar, aber es gibt durch den komplexen Plot einige nebensächliche offene Punkt, die mich sehr neugierig und unbefriedigt zurücklassen.

Die Autorin:
„Katharina Höftmann wurde 1984 in Rostock geboren. Sie studierte Psychologie und deutsch-jüdische Geschichte in Berlin und war als Journalistin und PR-Beraterin für die Agentur Scholz & Friends tätig. Im März 2010 wurde sie Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes im Bereich Wissenschafts- und Auslandsjournalismus und arbeitet seither für die Deutsche Presse-Agentur, Welt Online und Israel HaYom. Aus einem Blog, den sie für die Welt-Gruppe unter dem Titel Guten Morgen, Tel Aviv führte, entstand ein Buch gleichen Namens. Im Aufbau-Verlag erschien ihre Tel-Aviv-Krimiserie um Kommissar Assaf Rosenthal. Katharina Höftmann lebt mit Mann und Kind in Israel und Deutschland.“

Das Cover /Aufmachung:
Das Cover ist schön, es passt zum Inhalt und zu den nachdenklichen und nach Ruhe sehnenden Gedanken von Reporterin a.D. Fanny Wolff. Das Cover lädt zu Assoziationen ein und gibt einen ersten Vorgeschmack auf diesen atmosphärischen und eindringlichen Kriminalroman. Das Schriftbild ist sehr locker, es lässt sich gut lesen und die Kapitel weisen eine angenehme Länge auf. Die Kapitelüberschriften sind wirklich gelungen und sollten sich sehr genau zu Gemüte geführt werden. Gute Verarbeitung und ein runder Gesamteindruck. Wenn sich die Fortsetzungen mit einem Wiedererkennungswert dem Auftakt angliedern, ist es eine perfekte neue Krimireihe im Bücherregal.

Persönliches Fazit:
Ein gelungener Krimi, der durch die gute Recherche, Vita und Erfahrung der Autorin, dem angenehmen und verbundenen Schreibstil und die sympathische Hauptperson überzeugt. Das minimal nebensächlich offene Ende ist ein kleiner Wehmutstropfen, der auf eine schnelle Fortsetzung hoffen lässt.

Ein Buch für alle Krimi- und sogar Psychothriller- oder Psychodramafans, denen Atmosphäre und eine sympathische „Heldin“ mit Vergangenheit wichtiger sind als durchgehende, nervenzerreißende Spannung. Diesem Auftakt gebe ich trotz aller Begeisterung und einem 4,5 Sterne-Gefühl erst einmal (nur) 4 mehr als positive und verdiente Sterne!

... Edit: Oder gehe ich mit diesem Krimi doch zu hart ins Gericht?... Denn eigentlich war das Buch fanatstisch, aber etwas "mehr" geht da doch noch, ich bin mir sicher, die Autorin fängt jetzt erst richtig an!




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