Anatolij Petrowitsch führt ein ruhiges und beschauliches Leben als Angestellter einer Gasfirma und als liebevoller Vater seiner Tochter Elisaweta. Nachdem er durch die Flucht seiner Frau zu Sowjetzeiten mit der Staatsmacht in eher beunruhigenden Kontakt geraten ist, ist er darauf bedacht, ein unspektakuläres und normales Dasein zu fristen. Doch das ändert sich, als er spontan für einige Tage auf die Krim verreist – just in dem Moment, in dem Russland beschließt, die Insel wieder in „den Schoß der Familie“ zu holen. Durch Zufall gerät er in die Hände russischer Soldaten und trifft auf die ukrainische Aktivistin Tatjana. Auch nach seiner Rückkehr nach Moskau lassen ihn die Ereignisse und Tatjana selber nicht mehr los und Anatolij wird plötzlich zum Teil einer Revolution, die sein Leben völlig auf den Kopf stellen wird…
Katharina Johanna Ferner erzählt in ihrem Debütroman mit dem sagenhaften Titel Wie Anatolij Petrowitsch Moskau den Rücken kehrte und beinahe eine Revolution auslöste die Geschichte eines sympathischen, aber langweiligen Niemands, der aus Versehen historische Ereignisse in Gang setzt und sein Leben dabei ins Chaos stürzt. Der Held, der keiner sein will, hört auf den Namen Anatolij Petrowitsch und entpuppt sich als kleines, aber wichtiges Puzzleteil in den Wirren der Weltgeschichte, als kippender Dominostein, der eine Kette weiterer Ereignisse auslöst. Situiert in der jüngsten russischen Zeitgeschichte wird Anatolij zum unfreiwilligen Zeugen der Olympiade in Sotchi, der Krimannexion und der zunehmenden Repressalien gegenüber Oppositionellen und Andersdenkenden. Seine Geschichte fungiert somit als Chronik der Ereignisse, die wir westlichen Leser in den letzten Jahren gebannt und mit Schrecken vor dem Fernseher verfolgt haben.
Katharina Johanna Ferner erzählt die Geschichte ihres Antihelden dabei auf skurrile und sympathische Art und Weise. Der Text lädt stetig zum Schmunzeln ein und wartet mit subtilen Anspielungen zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Russland auf. Wie Anatolij Petrowitsch Moskau den Rücken kehrte und beinahe eine Revolution auslöste ist ein moderner und intelligenter Roman, der das Können seiner Autorin bezeugt.
Warum dann letztlich nur 3 Sterne? Auch ein kluger Roman kann mal am Leser vorbeigehen und genau das ist mir leider passiert. Das liegt zum einen an der Erzählweise: Die Autorin schildert in atemberaubenden Tempo und in extremen Zeitraffern Anatolijs Leben und die Ereignisse, die ihm widerfahren. Dabei blieb für meinen Geschmack zu viel auf der Strecke: Entwicklungen schienen unmotiviert und assoziativ, manche Erzählstränge endeten abrupt. Vor allem fiel es mir so schwer, eine Beziehung zu den Figuren und dem Erzählten aufzubauen. Sicher, Anatolij ist liebenswert gestaltet, aber mehr als eine irgendwie sympathische Figur konnte ich mir nicht vorstellen: Sein Alter, sein Aussehen, seine wesentlichen Charakterzüge, das alles blieb noch nach knappen 150 Seiten schemenhaft und skizziert. Die angesprochene Seitenzahl ist ein weiterer Punkt: In diesem doch schmalen Büchlein taucht eine Vielzahl von Figuren und eine noch größere Zahl an Problemen und Konflikten auf: Eine Verlobung, die es zu verhindern gilt; ein Homosexueller, dessen Outing zu einigen Problemen führt; eine Schwangerschaft, die eigentlich unpassend kommt; die Liebe zu einer Ukrainerin in der Zeit des Krieges; die immer noch drückende Abwesenheit der flüchtigen Exfrau etc. Hier wäre für mich weniger mehr gewesen, so schien mir der Roman für seine geringe Seitenzahl doch zu überfrachtet. Last but not least: Die Sprache. Die Autorin schreibt eigenwillig und nach meinem Empfinden haben sich einfach zu viele „Fehler“ in den Text eingeschlichen: Einige Wendungen und Ausdrücke erklären sich zwar wohl dadurch, dass diese im Österreichischen (Muttersprache der Autorin) durchaus gebräuchlich sind, andere sind aber wohl – so klärte es sich in der Leserunde auf – auf stilistische Entscheidungen zurückzuführen. Abgesehen davon, dass ich in diesen Abweichungen keine Systematik (und somit auch keinen Stil) erkennen konnte, hätte man dies in einem kurzen Vorwort ansprechen sollen, da nur die wenigsten Leser die Chance besitzen, direkt mit dem Autor eines Textes Rücksprache über diesen zu halten. So hegt der unwissende Rezipient nach einigen Seiten doch eher den Verdacht, dass die Erzählung einfach ungenügend lektoriert wurde. Auch mich ließen diese Wendungen – trotz Aufklärung – immer wieder straucheln; daher und aufgrund der anderen genannten Faktoren blieb mir der Zugang zu Geschichte letztendlich verstellt.
Wie Anatolij Petrowitsch Moskau den Rücken kehrte und beinahe eine Revolution auslöste ist ein Debüt mit viel Potenzial, das mich aber nicht voll erreichen konnte. Aufgrund der skurrilen Erzählweise und dem sympathischen Protagonisten wird es jedoch seine Fans finden.