Rezension zu "Valerie - Retterin der Bücher" von Kathleen Freitag
Bücherwurm Valerie, weder mit besonderem Selbstvertrauen noch gar mit Schlagfertigkeit ausgestattet, hatte sich seit Wochen auf die Lesenacht in der Schule gefreut! Bücher sind ihr Leben, mal abgesehen von ihrem Zottelhund Sonntag, den sie in Anlehnung an Robinsons Freitag, zwar nicht nach dem Tag benannt hat, an dem er bei ihr einzog, aber doch nach ihrem Lieblingstag. Ausnahmsweise durfte auch ihr treuer Begleiter in dieser besonderen Nacht, in der jedes Kind aus seinem Lieblingsbuch vorlesen durfte, mit ihr zusammen das Schulgebäude betreten.
Da das Lesen aber heutzutage, sicherlich nicht nur bei Valeries Mitschülern, als recht exotische Beschäftigung betrachtet zu werden scheint, ist das phantasiebegabte, nicht mit dem Strom schwimmende Mädchen eine Außenseiterin und wird besonders von der hochnäsigen Aurelia und deren Freundinnen Annabell und Agathe bei jeder sich bietenden Gelegenheit gehänselt und fast schon gemobbt. Folgerichtig sind es genau diese drei, die Valerie die Freude an der Lesenacht, für die sie hoffte, endlich einmal ein wenig zu glänzen, denn in Punkto Büchern macht ihr so schnell keiner etwas vor, und von ihren Klassenkameraden beachtet zu werden, gründlich verderben! Da hat sich die arrogante Aurelia doch tatsächlich erdreistet, sich ausgerechnet Valeries Lieblingsbuchs zu bemächtigen, um daraus vorzulesen! Valerie bleibt die Spucke weg – und wie es nun einmal so ist im Leben, glaubt die Lehrerin mit dem eigenartigen Namen Zitterich die unverfrorenen Lügen Aurelias und schickt die zu Recht empörte Valerie, rechtmäßige Eigentümerin des Piratinnenbuchs, vor die Tür. Jaja, Frechheit siegt! Fast immer. Zunächst wenigstens...
Aber mindestens genauso oft erwächst aus dem vermeintlichen oder tatsächlichen Unglück dann doch etwas Gutes – und für Valerie beginnt sogar das Abenteuer ihres Lebens, nachdem sie voller Traurigkeit und Enttäuschung mit Sonntag durch die dunklen Schulkorridore stapft und – ausgerechnet oder schicksalshaft, was hier wohl eher zutrifft, in der Schulbibliothek landet. Die dunkel und schweigend schläft? Weit gefehlt! Es geht munter zu an dem Ort der Stille, denn da tummelt sich lautstark ein Sammelsurium an eigenartigen Gestalten: Ritter, Mumien, Prinzen und Prinzessinnen, Hexen, Zauberer, Piraten – kurz all das, was es zwar in Büchern, aber doch nicht in der Wirklichkeit gibt, oder etwa doch? Valerie jedenfalls traut ihren Augen kaum, die Oma hat wohl doch Recht, wenn sie behauptet, dass ihre Enkelin zu viel Phantasie hat....
Doch nein, sie träumt wirklich nicht, denn wie sie bald von einem kleinen grünen, sehr verpeilt wirkenden Wuschel namens Zwirp erfährt, dürfen etwa alle 29 Tage, immer bei Neumond, Gestalten aus Geschichten ihre Heimat zwischen den Buchdeckeln verlassen und in der Menschenwelt eine Nacht lang Spaß haben. Er, Zwirp, achtet darauf, dass alles gesittet zugeht und dass Ritter, Piraten und Co. rechtzeitig wieder in ihren Büchern verschwinden. Allerdings scheint unser Zwirp mit dieser Aufgabe hoffnungslos überfordert zu sein, was diesem, genauso wenig selbstbewusst wie Valerie, durchaus klar ist und ihn schier zur Verzweiflung bringt. Als plötzlich Schritte auf dem Gang zu vernehmen sind und alle sich außerhalb ihrer jeweiligen Geschichte verlustierenden Wesen so schnell es geht in ihre Bücher zurückhuschen, geschieht auch prompt ein Missgeschick: die sich geräuschvoll streitenden Katzen, ihres Zeichens der Gestiefelte Kater und der Bremer Stadtmusikant, stürzen sich im Eifer des Gefechts ins falsche Buch! Eine sich anbahnende Katastrophe, die nur dann verhindert werden kann, wenn man die beiden Kontrahenten noch vor Ende der Neumondnacht findet und wieder in ihre ureigenen Geschichten zurückschickt....
Und wer ist dazu wohl besser geeignet als die Bücherfreundin Valerie? Kurzentschlossen und bevor die herannahende Lehrerin Zitterich etwas merkt, taucht sie mit Sonntag und dem Bücherzwirp ab ins 'Buch der Drachenreiter', um die beiden Verirrten aufzustöbern. Ja, und nun beginnt eine schöne, so phantastische wie phantasievolle Geschichte, die so recht dazu geeignet ist, junge – genauso übrigens wie nicht mehr ganz so junge – Leser alles um sich herum vergessen zu lassen und, wie Valerie, einzutauchen in eine wundersame Welt, in der die Tiere reden können, zu Valeries seligem Entzücken auch ihr bester Freund Sonntag, dessen geistreiche und pfiffige Kommentare der ohnehin schon reizenden Geschichte das Sahnehäubchen aufsetzen. Auch Mut ist gefragt in dieser Bücherwelt, die auf keinen Fall durch die Interventionen Valeries und des Zwirps verändert werden darf, Mut und Klugheit, um die Herausforderungen zu bestehen, vor denen das in der realen Welt so schüchterne Mädchen ein ums andere Mal steht, und um es darüberhinaus mit den gar nicht so bösen Drachen aufzunehmen, die die Autorin so liebevoll und mit Freude am Fabulieren in Szene setzt und damit die Sichtweise auf die gefürchteten Fabelwesen umdreht.
Begeistern können auch die in grau-schwarz-grün und gelegentlich etwas braun gehaltenen Zeichnungen von Katja Jäger, die die Erzählung ganz wunderbar ergänzen und auf deren Einzelheiten man unbedingt achten sollte. In der Tat habe ich selten in einem Buch dieser Art eine solche Einheit und Harmonie zwischen Text und Illustration gefunden – eine echte Symbiose, fürwahr! - Und was Valerie angeht und nicht zuletzt den ihr im Verhalten so ähnlichen Zwirp, der sehr bald zu einem guten Freund wird, so können die jungen Leser davon ausgehen, dass beide an ihren Aufgaben wachsen werden – doch wie das geschieht ist zu aufregend, zu spannend, um es an dieser Stelle zu verraten! Das müssen die hoffentlich zahlreichen jungen, älteren und vielleicht schon alten Leser, wobei mir die Großeltern vor Augen stehen, dieser be- und verzaubernden Geschichte natürlich selber herausfinden....