Rezension zu "Wie ein Sandkorn im Wind" von Kathleen O'Neal Gear
Das ganze Leben war anscheinend nicht mehr, als dem Tod in die Augen zu schauen. (Seite 154)
Zum Inhalt (eigene Angabe)
Colleen Merrill ist in einer unglücklichen Ehe mit einem brutalen Mann gefangen, beide sind 1865 mit einem Treck auf dem Weg in den Westen. Im Traum sieht sie immer wieder und zusehends realer einen Cheyenne Krieger. Dieser hat ebenfalls Visionen von ihr und weiß, daß er sie treffen muß.
Im Verlauf der Reise wird sie näher mit Matthew Douglas bekannt, der sie vor den Angriffen ihres Mannes rettet. Als Halbcheyenne vermag er ihr auch bei der Deutung der seltsamen Träume zu helfen. Aber nichts und niemand kann das unvermeidliche Schicksal aufhalten.
Meine Meinung
Auf dem Cover findet sich ein Hinweis auf „Der mit dem Wolf tanzt“, was vermutlich dem Erscheinungsjahr 1994 und damit der zeitlichen Nähe dazu geschuldet ist, denn dieses Buch ist in jeder Hinsicht anders.
Das fängt schon beim Erzählstil an; Blake schrieb in meist kürzeren Sätzen sehr handlungsbezogen, während hier ausführlicher erzählt wird, kurze sich mit langen Sätzen abwechseln und Beschreibungen der realen wie der Geisterwelt vorkommen. Es ist beim Lesen daher von Vorteil, wenn man sich mit der indianischen Denkweise und Spiritualität etwas auskennt oder sich vorher in Grundzügen damit vertraut macht. Denn sonst könnte man auf den Gedanken kommen, das Buch enthielte Fantasyelemente - dem unbedarften Leser mag es so erscheinen, auch wenn es von der Autorin gewißlich nicht so gemeint ist.
Im Nachwort gibt die Autorin eine Einordnung der im Buch beschriebenen Geschehnisse. Zwar sind die Hauptfiguren Colleen Merrill, Wounded Bear und Matthew Douglas fiktiv, doch die Expedition und den Treck des Buches gaben es wirklich, desgleichen die Anführer Sawyer (zivil) und Williford (militärisch) sowie deren ständige Konflikte und Reibereien. Auch wenn es Colleen nicht gab: hätte es sie gegeben, die Treckmitglieder hätten vermutlich genau so reagiert, wie im Roman beschrieben - nicht unbedingt ein Ruhmesblatt. Die Straße, die im Verlauf der Expedition gebaut werden sollte, wurde später nie mehr benutzt, zumindest das hatten Cheyenne und Sioux, durch deren letzte Jagdgründe die Route führte, erreicht.
Träume, Visionen, Tiere, die Botschaften übermitteln - das gehörte für die Indianer zu ihrer Religion und Vorstellungswelt, war realer Bestandteil ihres Daseins; so findet man es in vielen Büchern (nicht nur Romanen). Ungewohnt, daß hier ein Weiße in diese Vorstellungswelt mit einbezogen wird. Sie selbst wie auch der Leser fragen sich nach dem Grund, und beide müssen sich bis ans Ende des Buches gedulden, wenn die Autorin im obligatorischen Showdown die bis dahin aufgelaufenen Rätsel entwirrt und die offenen Fragen so weit beantwortet, daß ein „weißer“ Verstand beruhigt wird, während ein letztes „Rotes“ von mystischem Nebel umwoben bleibt.
Nach und nach werden Zusammenhänge offenbar, die erst gegen Ende ein vollständiges Bild ergeben und deutlich wird, wie geschickt die Autorin die verschiedenen Handlungsläufe miteinander verwoben hat, so daß ein sinnvoller und folgerichtiger Ablauf entstanden ist.
Der Roman war von Anfang an ganz anders, als ich ihn erwartet hatte; dadurch brauchte ich eine Weile, bis ich mit ihm „warm“ geworden war. Jedoch entwickelte er auch zu der Zeit, in der ich mich noch etwas schwer tat, einen Lesesog, daß ich unbedingt dauernd weiter lesen und wissen wollte, was als nächstes geschieht. Nachdem ich mich jedoch auf das Buch eingelassen hatte, war alles „fremdeln“ vorbei, und ich konnte das Buch genießen, bis hin zum Ende, das ich zwei Mal las, weil ich das Gefühl hatte, etwas überlesen zu haben.
Wenn schließlich der letzte Schuß gefallen und die Geschichte auserzählt ist, wird man das Buch vielleicht zufrieden, aber möglicherweise in leicht melancholischer Stimmung zuklappen. Denn wie im richtigen Leben mag ein Kapitel zu Ende sein, aber ein neues, von dem man nicht weiß, was es bringen wird, ist aufgeschlagen. Aber dies ist nicht mehr Teil dieser Geschichte und bleibt vorerst in den Nebeln einer unbekannten Zukunft verborgen.
Mein Fazit
Um ein historisches Ereignis hat die Autorin eine spannende Geschichte gewoben, die geschickt die „weiße“ mit der „roten“ Welt in Beziehung setzt und Lösbarkeit wie Unlösbarkeit so manchen Konflikts aufzeigt.