Rezension zu "Fräulein Draußens Gespür für Wildnis" von Kathrin Heckmann
Vor mittlerweile über drei Jahren bin ich über Kathrin Heckmanns „Fräulein Draußen. Wie ich unterwegs das Große in den kleinen Dingen fand“ gestolpert und war sofort begeistert. Nun ist es auch schon wieder fast ein halbes Jahr her, dass ich Heckmanns zweites Buch verschlungen habe. Es ist also dringend an der Zeit für die Rezension von „Fräulein Draußens Gespür für Wildnis“. Und man kann es nicht anders beschreiben, als das Kathrin Heckmann gereift ist. Hat sie in ihrem ersten Buch noch die weiten Reisen beschrieben, spielt nun auch das ökologische Gewissen eine große Rolle. Natürlich ist es eine unfassbare Erfahrung in Südamerika, Kanada oder Australien zu wandern, aber es ist eben auch eine nicht geringe Umweltbelastung mit dem Flugzeug, letztlich zum persönlichen Vergnügen, um die halbe Welt zu fliegen. Sicherlich ein Dilemma. Aber Natur gibt es auch vor der europäischen oder gar heimatlichen Haustür. Der Begriff Wildnis trifft es nicht unbedingt im Wortsinne, aber auch darüber reflektiert Heckmann.
Und das ist wieder einer der großen Gewinne, wenn man Fräulein Draußen zuhört bzw. liest. Es ist eine wunderbar reflektiertes Leseerlebnis, dass einem neue Gedanken und Sichtweisen anbietet ohne missionarisch belehrend zu sein. Heckmann regt zur Selbstreflexion an, einfach weil sei selbst über Natur und Menschen nachdenkt. Und das Ganze passiert relativ beiläufig, während uns die Autorin auf ihren Wanderungen, Läufen und Erlebnissen mitnimmt. Von der Nordsee bis zur Isar, durch Wälder, Heidelandschaft und über Berge, entlang von Flüssen und durch Nationalparks. Wir übernachten unter freiem Himmel, begegnen Wölfen, sind im Tier- und Naturschutz unterwegs, beobachten Vögel und Schwertwale. Wandern, Laufen. Paddeln und fahren Rad. Hauptsache Wildnis.
„Brücken schaffen zwischen Mensch und Wildnis“
Besonders viel Freude beim Lesen, bereitet mir auch immer wieder der moralische Kompass von Kathrin Heckmann. Ob es darum geht, seinen Fußabdruck in der Natur so klein wie nur möglich zu halten, Leave no trace, oder ob es um unser Verhalten gegenüber Tieren geht. Sehr schön im Kapitel von Schafen und Wölfen beschrieben. Denn der Wolf ist mittlerweile für einen Teil der Bevölkerung zu einem Kulturkampfobjekt geworden. Man meint einige Mitbürger*innen definieren ihr Leben nur noch über Kampf und suchen sich ein Thema nach dem anderen, um ihre Sicht der Dinge militant allen anderen aufzudrücken. Dass es sich dabei um eine sehr lautstarke und mächtige Minderheit handelt, zeigt die Diskussion um das Töten von Wölfen. Landwirt- und Jägerschaft vereint im rechten Kulturkampf.
"Weil ich in dem Wissen durch unsere Wälder wandern möchte, dass diese Wälder und alles, was darin lebt, in einer gewissen Balance existieren, die auch uns selbst wieder ein Stückchen gerader rücken kann. Und dass diese Balance wieder ein bisschen mehr natürlichen Gegebenheiten unterliegt und nicht – wie ein großer Teil unserer Welt – vor allem von Menschen, viel mehr noch: von Menschen mit Waffen, reguliert wird."
Entfremdung
Wir haben ein dermaßen entfremdetes Verhältnis zur Natur, dass viele Menschen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage überhaupt nicht mehr tangiert. Hauptsache das neueste IPhone macht Insta-worthy Bilder und man kann sich auf dem Sofa des viel zu großen Hauses (selbstverständlich mit viel zu kleinem Garten) auf dem leinwandgroßen Fernseher mit dem immergleichen Müll berieseln lassen. Und zwischendurch läuft die neueste Werbung von Käpt’n Iglo, der uns zeigt, wie der Fisch mit einem kleinen Kutter gefangen wird.
Dabei sieht die Wahrheit völlig anders aus. Die will nur niemand hören, sonst kann man ja das tote Leben, dass man essen möchte, nicht mehr genießen. Und der kurzfristige Genuss ist nun mal wichtiger als alles andere.
"Ich hatte schon immer um tote Tiere getrauert… Insbesondere, wenn dieses Leben so unnötig erloschen ist, einfach weil es dem Neschen zu nahe gekommen war. Beifang – ein recht harmlos klingendes Wort, mit dem man Millionen Lebewesen bezeichnet, die in Fischernetzen so ganz nebenbei den Tod finden. … Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr etwa hundert Millionen Haie und Rochen, dreihunderttausend Wale und Delfine und einhunderttausend Albatrosse so ganz nebenbei in den Fischernetzen dieser Welt."
Die Natur laufend ergründen
Als passionierter (Trail)Läufer habe ich mich auch über die neuen Abschnitte von Kathrin Heckmann gefreut, die mittlerweile auch das Laufen für sich entdeckt hat. Und im Gegensatz zu so unendlich vielen anderen Läufer*innen (gerade im Ultra-Bereich) bleibt Fräulein Draußen auch hier bescheiden. Auf ihrem Blog hatte ich ein Foto von ihrer Laufzeit gesehen. Und das war weit entfernt von Spitzenzeiten. Viele Läufer*innen würden einen Pace jenseits der 6 Minuten niemals öffentlich machen. Aber gerade das demotiviert neue Läufer*innen. Umso angenehmer finde ich die Offenheit mit der Kathrin Heckmann umgeht. Schließlich ist das Laufen an sich bereits eine Leistung und jede*r läuft für sich und meinetwegen auch gegen sich. Aber am Ende soll das Ganze Spaß machen. Laufen kann ein Naturerlebnis sein. Laufen kann meditativ sein. Und Laufen kann einfach nur Freude bereiten. Dazu muss man aber diesen ewigen Wettbewerbsgedanken etwas über Bord werfen.
Dass Heckmann gut schreiben kann, weiß man spätestens seit ihrem ersten Buch. Aber wie sie das Laufen beschreibt, zeigt, dass sie ganz wunderbar mit Sprache umgehen kann. Und vor allem, dass sie Gefühle in Wörter fassen kann. Da ist, was meines Erachtens, gute Schriftsteller*innen ausmacht. Das verschriftsprachlichen zu können, was andere „nur“ fühlen können. Und es damit auch für Letztere einer besseren Reflexion zugänglich zu machen. Und natürlich für andere die Tür aufzustoßen, sich ebenfalls diesen Gefühlen zu öffnen.
„Laufen in der Natur ist für mich wie eine Abkürzung zu meiner Seele.“
Was mich bei Heckmanns erstem Buch begeistert hat, nämlich die kleinen zusätzlichen Informationen quasi im Vorbeigehen, wird hier an der ein oder anderen Stellen dann doch etwas übertrieben. Nicht so sehr, dass es nerven würde, aber ein gewisses Schmunzeln, ob des Trivial Pursuit Wissens kann ich mir dann doch nicht verkneifen („… die von der Sonne emittierte elektromagnetische Strahlung, die sich mit rund 300 000 Kilometern pro Sekunde durchs All bewegte, …“).
Das trübt natürlich nicht im Geringsten den Gesamteindruck. Kathrin Heckmann hat wieder ein ganz wunderbares Buch geschrieben, das einem das Naturerlebnis ans Herzen legt und damit einhergehend auch den bewussten Umgang mit unserer Lebensgrundlage. Ich freue mich schon auf das dritte Buch. So denn eines geplant ist.