Rezension zu "Der Jahrestag" von Stephanie Bishop
JB Blackwood ist eine Schriftstellerin mittleren Alters, verheiratet mit dem 20 Jahre älteren Patrick, einem Filmemacher mit Kultstatus. Die Ehe kriselt. JB ist mittlerweile selbst erfolgreich und kann nicht mehr so viel Zeit für die Projekte ihres Mannes aufbringen. Patrick, früher berühmt für Stil und Eleganz, trägt mittlerweile löchrige T-Shirts und hält es nicht immer für nötig zu duschen. Bei dem Paar lebt sporadisch Patricks Sohn Joshua aus erster Ehe, ein enorm anstrengender Teenager.
Für den titelgebenden Jahrestag hat JB eine 18-tägige Luxuskreuzfahrt gebucht, von Alaska nach Japan. Dass sie, kurz bevor es losgeht, einen Literaturpreis gewonnen hat, verschweigt sie ihrem Mann. Auf dem Schiff scheint alles gut zu laufen, JB und ihr Mann nähern sich wieder an. Dann, in einem Sturm vor Japans nördlichster Insel Hokkaido, geht Patrick über Bord. Erst Tage später wird sein Leichnam angespült. Worum ging es bei dem vorhergehenden Streit der beiden? Das verschweigt uns die Autorin, die ganze folgende Story dreht sich um diese Frage. Für mich eine etwas zu simple Art, einen Spannungsbogen anzulegen.
Von dem Zeitpunkt an wird aus der Ehegeschichte ein Thriller. Oder vielleicht, mangels echter Spannung, eher eine Crime Mystery? Wir befinden uns ständig im Kopf der Protagonistin, die ihre ganze Beziehungsgeschichte mit uns teilt, deren Erinnerung um die Zeit des Unglücks herum jedoch jede Klarheit verloren hat. Ihr Verhalten nach dem Ereignis wirkt, selbst wenn man ihr Trauma einbezieht, inkongruent und vollkommen unglaubwürdig. Bishops großzügige Verwendung von Ohnmachtsvokabeln wie wacklig, wankend, durcheinander, benommen soll das unterstreichen. Die ganze Figur zerfällt in Widersprüche, die beim Lesen mühsam zusammenzubringen sind und Längen erzeugen. Hatte JB bei dem Unglück die Hand im Spiel? Die katastrophale Auflösung des Kriminalfalles ist auf diese Weise nur deshalb möglich, weil Bishop mit ihrer Figur JB gegen sämtliche Regeln der Charakterzeichnung verstößt.
Die große Stärke des Romans sind Bishops scharfsichtige Reflektionen darüber, wie patriarchale Strukturen bis in intime Beziehungen hineinreichen, in JBs Fall eine vermeintlich freigeistige Künstlerliaison. Interagieren hier zwei Gleichberechtigte? Ist JB die Nutznießerin ihres berühmten Mannes, oder schafft im Gegenteil die patriarchale Prägung immer noch Vorteile für den Mann? JB muss erkennen, dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung hauptsächlich „die Witwe“ ist, nicht die Trägerin eines renommierten Literaturpreises. Mehr noch, man unterstellt ihr, dass ihr mit ihrem Mann auch die eigentliche kreative Kraft verloren gegangen ist.
„Er war ausgebrannt, und ich hatte es zu etwas gebracht. Hatte es nicht wegen ihm, sondern vielleicht trotz ihm zu etwas gebracht – der lange Schatten des Sugardaddy. Tatsächlich aber hatte ich mich durchweg mehr für seinen Erfolg engagiert als er für meinen.“
Mich überzeugten auch die Reflektionen über Machtmechanismen in der Ehe, über die Auswirkungen des Erfahrungsgefälles in der Kombi älterer Mann/junge Frau, über die patriarchalen Zwänge im Geschäft des Schreibens.
„Wie lange kann eine Frau auf ihren Ambitionen bestehen, bevor es auf sie zurückfällt? Bevor ihr unterstellt wird, sich ihrer Weiblichkeit zu berauben und ein falsches Leben zu führen?“
Das Ende des Romans führt die bis dahin feministische Botschaft des Romans ad absurdum, und zwar auf derart kitschige Art, dass ich äußerst unangenehm überrascht war. Aber auch insgesamt hat sich mir die Konstruktion des Romans nicht erschlossen, der Kriminalfall als Ganzes war aus meiner Sicht vollkommen überflüssig, und auch das Geschwurbel rund um Fiktion und biografische Realität hat mir wenig gegeben, zumal die Autorin aus meiner Sicht etwas falsch verstanden hat: Fiktion ist nicht das Gegenteil von Realität und hat, soll sie dem Ideal der erfundenen Wahrheit genügen, nichts mit der willkürlichen Erfindung unwahrscheinlicher Details und Handlungsweisen zu tun.
Fazit: „Der Jahrestag“ hat durchaus starke Aspekte, die mir gut gefielen, verschenkt sie aber durch eine allzu ehrgeizige Konstruktion und eine Botschaft, die sich selbst widerspricht.