Cover des Buches Böse Schafe (ISBN: 9783596156252)
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Rezension zu Böse Schafe von Katja Lange-Müller

Eine wunderbar offen und poetisch, dabei niemals kitschig erzählte Liebesgeschichte

von Code-between-lines vor 9 Jahren

Rezension

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Code-between-linesvor 9 Jahren

Zum Inhalt: Berlin 1987: Ein knappes Jahr ist Soja nach ihrer Flucht aus der DDR in West-Berlin angekommen, als sie Harry kennenlernt. Harry, der sie zu Kakao einlädt, ihr unbeholfene Geschenke macht und sie, trotz ihrer erfahrenen 41 Jahre, mit einem „Kinderkuss sofort verzaubert“. Schnell gesteht er ihr, dass er gerade eine zehnjährige Haftstrafe abgesessen und nur dann eine Chance hat, nicht direkt wieder einzufahren, wenn er seine abgebrochene Drogentherapie erfolgreich wieder aufnimmt und seine Bewährungsauflagen erfüllt. Was er ihr nicht erzählt, ist: „Ich bin HIV-positiv.“

Überhaupt erzählt Harry nicht Vieles –Gefühle, Ängste und seine Sicht auf die Dinge behält er lieber für sich. Eine Situation, die für Soja, die ihren „schweigsamen Geliebten, so gern aus seinem Leben retten möchte, oftmals unerträglich ist. Soja empfindet es als großes Bedürfnis, Harry zu helfen, so dass sie "endlich mal wieder kämpfen konnte, wie ich es bislang immer gekonnt hatte, nicht gegen etwas, sondern um jemanden ..." Und gleichzeitig fragt sie sich immer wieder hilflos, was sie an ihm eigentlich so sehr anzieht.

Jahre nach ihrer gemeinsamen Geschichte erfährt Soja zuvor verschwiegene Gedanken aus einem alten Schulheft, in welchem Harry während ihrer gemeinsamen Zeit Gedanken und Gefühle notierte – nur ihr eigener Name fehlt darin.

In Form von 20 Jahre nach ihrer gemeinsamen Zeit geschriebenen Briefen an Harry, setzt Soja sich in schonungsloser „Selbstaussprache“ mit der Vergangenheit und dem, was zwischen ihr und Harry war (oder nicht war), auseinander.

Eigene Meinung: Diese Buch lebt von der wunderbaren Sprache Katja Lange-Müllers. Trotz einer manchmal dem geschilderten Umfeld geschuldeten schnoddrigen Ausdrucksweise (oder gerade deswegen, weil manchmal fast schmerzhaft authentisch) erzeugt die Autorin eine wunderbare Poesie in Sojas rückblickender Perspektive auf ihre gemeinsame Zeit mit Harry und straft damit ihre Protagonistin, die auf Seite 29 behauptet „nein, ich liebte Dich nicht, obwohl Du für mich wie ein Bruder warst […], aber eben kein leiblicher, sondern einer, der mit mir schlief, vögelte, kopulierte…“, Lügen. Und so kommt dann auch das rückblickende Eingeständnis Sojas - „Von dem Harry, den ich liebte und noch liebe, hatte und habe ich ein ganz bestimmtes inneres Bild, das kein späteres überblenden oder gar verdrängen kann.“

Die Geschichte wird in Sojas Worten in einem guten Tempo erzählt, was in einem auf 204 Seiten begrenzten Buch, das Einiges zu erzählen hat, auch wichtig ist. Schnell werden die Protagonisten in Grundzügen vorgestellt, ein vollständiges Bild erhält der Leser jedoch erst nach und nach. Immer wieder wird Erlebtes und Vergangenes aus Sojas und Harrys Leben eingestreut, welches oftmals der Schlüssel zum Verständnis der beiden recht komplexen Protagonisten ist.

Ebenfalls, hauptsächlich durch das Auftreten der für ein Buch mit solch knapp bemessener Seitenzahl recht umfangreichen Liste von immerhin 18 Neben-Charakteren, gelingt es der Autorin, ein eindrückliches Bild des West-Berlins der späten achtziger Jahre entstehen zu lassen, was zum Charme und der Authentizität der Geschichte deutlich beiträgt.

Am Ende des Romans steht mit dem Fall der Mauer das Ende von Ost-Berlin, aus dem Soja kommt und von West-Berlin, welches für Harry verloren ist – und zugleich auch das Ende von Harrys und Sojas Geschichte - „Ich war weggegangen, weil ich nicht zu Hause sein wollte, wenn sich beides auflöste, mein Ost- und unser Westberlin, hatte befürchtet, dass ich mich ebenso auflösen und eben verschwinden würde; da war ich lieber woandershin verschwunden …“

Fazit: Eine uneingeschränkt offen und wunderbar poetisch erzählte, dabei niemals kitschige Liebesgeschichte, die es 2007 zu Recht auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat!

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