Cover des Buches Entrissen (ISBN: 9783426275665)
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Rezension zu Entrissen von Katrin Behr

Rezension zu "Entrissen" von Katrin Behr

von WinfriedStanzick vor 13 Jahren

Rezension

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WinfriedStanzickvor 13 Jahren
Dieses erschütternde und bewegende Buch zeigt, dass auch 20 Jahre nach dem Ende der DDR vieles aufgearbeitet werden muss, was dort zwischen1961 und 1989 unter einem Regime geschah, dass trotz aller Schönfärbereien verschiedenster Couleur als eine Diktatur und als ein Unrechtsregime bezeichnet werden muss. Die Autorin Katrin Behr hat hier mit der Hilfe des Fernsehjournalisten Peter Hartl ihre Lebensgeschichte erzählt. Die 1967 geborene Katrin ist gerade mal vier Jahre alt, als sie eines Morgens von Männern in langen dunklen Mänteln zusammen mit ihrem Bruder zu Hause abgeholt, den Eltern „entrissen“ wird. Ihre Eltern waren politisch in Ungnade gefallen und man hat ihnen einfach die Kinder weggenommen, eine Praxis, die in vielen Diktaturen der Welt praktiziert wurde und wird. Die beiden Kinder werden in ein Heim gebracht, bald voneinander getrennt und später dann von anderen Eltern zwangsadoptiert. Furchtbare Prägungen für eine Kinderseele, die noch Jahre lang vergeblich auf die Rückkehr der Eltern wartet. Als dann endlich die Mauer gefallen ist, nach großen Lebenskrisen und einer Psychotherapie, macht sich Katrin Behr auf die Suche nach ihren Eltern. Nach langen Recherchen findet sie ihre alte Mutter, die von der langen Haftzeit zermürbt, nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Doch Katrin Behr reicht das nicht und sie begibt sich auf eine lange Wanderschaft durch die Archive und Ämterflure. Dort entdeckt sie, dass ihre Mutter sie nicht freiwillig weggeben hat, sondern dass sie und ihr Bruder nur zwei waren von Tausenden von Kindern, die während der DDR-Zeit ihren politisch oder sozial „auffälligen“ Eltern weggenommen und dann von systemkonformen Eltern zwangsadoptiert wurden. Sie nimmt Kontakt auf mit Schicksalsgenossen und erfährt, dass viele Menschen ihre Eltern noch heute suchen, die meisten Betroffenen haben diese brutale Trennung mit schweren psychischen Störungen und Lebensproblemen bezahlt. Und Katrin Behr macht sich dieses Thema zur Lebensaufgabe: 2007 gründet sie den Verein "OvZ-DDR e.V. – Hilfe für die Opfer von DDR-Zwangsadoptionen". Seit 2010 arbeitet sie bei dem Dachverband der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V. als hauptamtliche Beraterin für den Fachbereich DDR-Zwangsadoptionen. Es ist ein bewegendes Zeugnis, dessen Lektüre einem an manchen Stellen ob des Leids, das darin geschildert wird, schwer fällt. Ein wichtiges Dokument für eine Geschichtsschreibung , in der in der letzten Zeit doch einiges aus der DDR für meine Begriffe zu schön dargestellt wird. Und es wird deutlich: das Stehlen der Identität ist mit das Schlimmste, was einem Menschen angetan werden kann.
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