Cover des Buches 13 Stufen (ISBN: 9783328101536)
Wiebke_Schmidt-Reyers avatar
Rezension zu 13 Stufen von Kazuaki Takano

Weder Fisch noch Fleisch: An sich überzeugende Idee, die nicht den richtigen Ausdruck findet

von Wiebke_Schmidt-Reyer vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Halbherzig engagierte Auseinandersetzung mit der Todesstrafe mit High-Noon-Finish - funktioniert irgendwie nicht.

Rezension

Wiebke_Schmidt-Reyers avatar
Wiebke_Schmidt-Reyervor 6 Jahren
Der junge Jun'ichi Mikami hat im Streit einen Menschen tödlich verletzt und sitzt deswegen im Gefängnis. Er kommt vorzeitig auf Bewährung frei. Als er zu seiner Familie zurückkehrt, muss er erleben, dass die Schadensersatzzahlungen an die Familie des Opfers seine Eltern fast ruiniert haben. Sie leben in ärmlichen Verhältnissen und geben das kärgliche Einkommen ihres Geschäfts fast völlig ab. Da kommt es wie gerufen, dass Nangō, ein ehemaliger Gefängnisaufseher, Jun'ichi auswählt, ihm bei einem brisanten Auftrag, für den eine hohe Erfolgsprämie winkt, zur Hand zu gehen: Nangō soll für einen anonymen Auftraggeber die Unschuld eines zum Tode verurteilten Häftlings beweisen. Ryō Kihara soll einen ehrenamtlichen Bewährungshelfer und dessen Frau brutal erschlagen haben, kann sich aber - abgesehen von einem isolierten Erinnerungsfetzen - an nichts, was mit dieser Tat zu tun haben soll, erinnern. Nangō und Jun'ichi machen sich unter Hochdruck an die Ermittlungen; die Zeit läuft ihnen davon: wenn Ryōs Revisionsantrag abgelehnt wird, wird er in nur wenigen Tagen hingerichtet, obwohl die Beweise seiner Schuld einige verfahrenstechnische Lücken aufweisen.

Insbesondere in der Figur des ehemaligen Gefängnisaufsehers Nangō, der selbst schon an Hinrichtungen teilgenommen hat, setzt sich der Roman mit ethischen Fragen der Todesstrafe, die es in Japan noch gibt, auseinander. Auch Jun'ichi, der ja selbst einen Menschen auf dem Gewissen hat und auch die Folgen der Schadensersatzzahlungen für die Familie des Täters selbst erlebt, denkt über Schuld, Strafe und Reue nach. Interessant daran ist, dass das japanische Rechtssystem das Reueempfinden des Täters signifikant mit einbezieht. So ist es beispielsweise Ryōs großes Unglück, dass er sich an die Tat nicht erinnern kann und demzufolge auch keine Reue empfinden kann. Könnte er sich erinnern, das Paar umgebracht zu haben und würde er ehrlich bereuen, stünde er besser da als mit Gedächtnisschwund und der Möglichkeit der Unschuld.

Gleichzeitig wartet der Roman mit Verfolgungsszenen und einem ziemlich dramatischen High-Noon-Finish auf. Die Zusammenstellung dieser sowohl nachdenklichen als auch actionreichen Elemente konnte mich nicht wirklich überzeugen. Der erste Teil des Romans erzählt, wie Jun'ichi aus dem Gefängnis freikommt, von dem Auftrag an ihn und Nangō und wie sie sich an die Ermittlungen begeben. Nangōs Vergangenheit und sein Verhältnis zur Todesstrafe werden in einem eigenen Kapitel und irgendwie sehr isoliert runtererzählt. Ich empfand das als eine Unterbrechung der klassischen Ermittlungsgeschichte, die wohl aufgrund des ernsten Themas - Todesstrafe - irgendwie wertvoll sein soll, sich für mein Empfinden aber irgendwie nicht eingefügt hat und auch nicht dazu beigetragen hat, die Person Nangō authentischer zu machen.

Die Art, wie Nangō und Jun'ichi an die Ermittlungen rangehen, empfand ich als etwas naiv; sie arbeiten viel mit Überlegungen und Annahmen. Ich konnte ihren Schlussfolgerungen auch nicht immer folgen. Teilweise wurde - wohl um das Ganze geheimnisvoller zu gestalten und die Spannung zu steigern - ein entscheidender Gedanke ausgelassen. Da das, was die Figur denkt, der Schluss, zu der sie kommt, aber irgendwie nicht auf der Hand lag, fühlte ich mich teilweise etwas verloren. Oder aber es war klar, zu welchem Schluss jemand kommt, aber die Ereigniskette, die dazu führte, war irgendwie löchrig. Ein oder zweimal hatte ich auch das Gefühl, dass ein vorgeblicher Beweis schlicht falsch war, was dann das Ergebnis umso unbefriedigender erscheinen ließ. Das dramatische Finale, in dem sich die Gegner nachgerade säbelrasselnd gegenüberstehen und es um Leben und Tod geht, fand ich im Rahmen dieser Geschichte unglaubwürdig und überzogen, irgendwie wie in einem Indiana-Jones-Film, aber ohne jegliche Selbstironie.

An sich fand ich den Grundgedanken der Krimigeschichte sehr gut, aber irgendwie war die Ausführung mangelhaft, als hätte der Autor gewusst, zu welchem Ergebnis er kommen will, aber nur unzureichende Erfahrung, wie sich eine Ermittlung, Beweisführung, Schlussfolgerungen etc. gestalten müssen, damit das Ganze spannend und plausibel wirkt. Andererseits werden einem sehr detailliert die bürokratischen Hintergründe des japanischen Rechtssystem, insbesondere dessen, wie jemand zum Tode verurteilt wird, dargelegt, was ich ehrlich gesagt nicht verstanden habe und in seiner Ausführlichkeit langweilig fand.

Ich kam nicht umhin, an den Film "The Life of David Gale" (mit Kevin Spacey) zu denken, in dem es ebenfalls um einen Unschuldigen im Todestrakt geht und der so viel packender und berührender ist. Leider blieb mir das ernste Thema eines womöglich unschuldig zum Tode Verurteilten in den "13 Stufen" etwas fremd. Irgendwie war das weder Fisch noch Fleisch - sowohl gewollt nachdenklich und sozialkritisch als auch gewollt actionreich, und nichts davon konnte mich überzeugen.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks