Cover des Buches Was vom Tage übrigblieb (ISBN: 9783442744305)
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Rezension zu Was vom Tage übrigblieb von Kazuo Ishiguro

Very British – eine großartige Tragödie!

von Kopf-Kino vor 9 Jahren

Rezension

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Kopf-Kinovor 9 Jahren
Es gibt nur eine einzige Situation, in der ein Butler, dem es mit seiner Würde Ernst ist, sich seiner Rolle entledigen darf: Wenn er ganz allein ist.

Der Rahmenhandlung des Romans ist (äußerlich) wie ein Reisebericht aufgebaut: Der Ich-Erzähler, Mr. Stevens – seinerseits Butler von Darlington Hall – lässt während einer wenigen Tage andauernden Reise durch Großbritannien seine Gedanken schweifen, sein früheres Leben Revue passieren und erinnert sich an einzelne Ereignisse, die er während seiner Diensttätigkeit bei seinem früheren Herren, Lord Darlington, zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg erlebte. Diese einst glanzvollen Jahren sind längst schon vorbei. Mr. Farraday, der neue amerikanische Eigentümer von Darlington Hall, ist der derzeitige Arbeitgeber von Stevens und bietet Stevens eine einmalige Chance – er darf (sogar mit dem Auto seines Dienstherren) eine Reise machen. Nach anfänglichen Zögern stellt Stevens seinem Reiseziel einem dienstlichen Sinn zu: Er will nach Cornwall, um die dort lebende, ehemalige Haushälterin, Miss Kenton, um sie zur Rückkehr nach Darlington Hall zu bewegen.

Dem Autor ist ein sehr lebendiges Bild gelungen – ein englischer Butler der Alten Schule, wie man ihn sich gewiss oftmals vorstellen mag: pflichtbewusst, konservativ, reserviert, bescheiden und seinem Arbeitgeber gegenüber stets loyal. Ein Leben, das keinerlei Raum für eigene Wünsche, für den Menschen Stevens hinter der Rolle eines Butlers zuließ, da es dem Streben und der Maxime der Perfektion im Bedienen gewidmet ist. Die Charakterstudie der Hauptfigur finde ich schlicht und ergreifend, auf ganzer Linie gelungen! Mit der Zeit gelang es mir ansatzweise hinter Stevens (recht subtil gehaltenen) verzerrten Wahrnehmung zu blicken. Der Raum an Mutmaßungen und Interpretationen ist jedem Leser selbst gegebenen, was mir gut gefiel.

Die Erzählstimme ist meiner Meinung nach unglaublich authentisch formuliert: zurückhaltend, nüchtern und der Wortwahl entsprechend sehr bedacht gewählt. Solch eine Sprache muss man mögen, da sie gewiss nicht jedermann Sache ist – anderenfalls kann schnell Langeweile aufkommen, was bei mir definitiv nicht der Fall war. Meine Empfehlung ist somit mit Vorsicht zu genießen.

Anmerken möchte ich noch, dass der Roman neben dem roten Faden einige Abschnitte enthält, die sich ausschließlich der Thematik beschäftigen, was für den Protagonisten bspw. einen guten Butler ausmacht. Ich persönlich fand jene Abschnitte keineswegs langweilig, sondern sehr interessant, da sie das berufliche Pflichtgefühl, das Stevens ganz und gar ausmacht, verständlicher gestalten. Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass dies bei manchen Lesern Langeweile auslösen würde. Dieses Buch ist eine sehr stille Geschichte - die Geschichte einer persönlichen Tragödie. Ich konnte sie nicht mehr aus den Händen legen und möchte sie nicht in meinem Regal missen.

Ein »großer« Butler vermag eindeutig nur zu sein, wer auf seine Dienstjahre verweisen und sagen kann, er habe sein Können in den Dienst einer großen Persönlichkeit gestellt – und durch diese in den Dienst an der Menschheit.

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