Rezension zu Unter dem Tagmond von Keri Hulme
Rezension zu "Unter dem Tagmond" von Keri Hulme
von Ein LovelyBooks-Nutzer
Rezension
✗
Ein LovelyBooks-Nutzervor 13 Jahren
Kerewin, Anfang 30, ist zu einem Achtel Maori, wie sie von sich selber sagt, mit weißer Haut und braunem Haar. Sie hat sich vor Jahren mit ihrer Familie überworfen und lebt nun ganz allein und zurückgezogen in ihrem selbstgebauten Turm in Neuseeland. Sie ist stolz und unnahbar nach außen, zerrissen und verloren im Inneren. Sie will in Ruhe gelassen werden. Früher einmal war sie eine geniale Malerin, doch diese Gabe glaubt sie verloren zu haben. Eines Tages sitzt ein kleiner, blonder Junge in ihrem Fenster, Simon. Simon ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Schiffbrüchiger. Er kann nicht sprechen, doch er dringt mit einer Intensität in Kerewins Leben ein, die sie selbst nicht versteht. Wie sich herausstellt, ist Simon der Pflegesohn von Joe, einem Maori, der Kerewin vor Kurzem in einer Bar aufgefallen ist. Diese drei Menschen sind jeder auf seine Weise Verlorene. Sie sind entwurzelt, haben aber scheinbar jeder einen Weg gefunden, damit umzugehen. Kerewin durch ihre Unnahbarkeit und ihren Zynismus, Simon dadurch, dass er sich Freiräume schafft, indem er herumstreunt und Joe durch seine hingebungsvolle Liebe zu Simon. Doch hinter der Fassade tun sich Abgründe voller Gewalt, Hass, Angst und Verzweiflung auf, aber auch voller Hoffnung, Hingabe, Verständnis und Vergebung. Kerewin, Joe und Simon kämpfen mit sich selbst, miteinander und versuchen ihren „Platz“ auf der Welt zu finden. Die Mythenwelt der Maori hat bei der Suche der drei Menschen nach sich selbst einen entscheidenden Anteil. Keri Hulmes Buch ist außergewöhnlich. Es erzählt nicht einfach eine Geschichte. Der Leser taucht tief in die Gedanken und Gefühle der Hauptpersonen ein. Nicht immer sind deren Ansichten und Handlungen verständlich und nachvollziehbar, oft sind sie verstörend, erschreckend und beängstigend. Das Buch ist ein einziges Wechselbad der Gefühle. Kaum glaubt man etwas verstanden zu haben, kehrt es sich prompt ins Gegenteil um. Letztlich ist es jedoch nicht entscheidend, wie die Figuren in diesem Buch handeln, sondern wie sie in ihrem Innersten empfinden und sich entwickeln. Dieses Buch kann und muss man nicht mit dem Verstand verstehen. Man kann es nur absorbieren, es aufsaugen und fühlen.