Cover des Buches Kissing the Rain (ISBN: 9783423712118)
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Rezension zu Kissing the Rain von Kevin Brooks

I've never kissed the rain before

von MoWilliams vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Wie immer unglaublich, unfassbar und so realistisch, dass man Angst haben muss.

Rezension

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MoWilliamsvor 9 Jahren
I'VE NEVER KISSED THE RAIN BEFORE

Moo ist fett. Dafür wird er geschlagen, gemobbt und in jeder Hinsicht verachtet. „Es regnet auf ihn ein“ - wie er das gerne bezeichnet. Das Mobbing ist „nur“ Regen.
Das ändert sich, als Moo zufällig einen Autounfall beobachtet und Zeuge bei einem Mord wird. Denn der Anführer der Mobbing-Clique ist der Sohn des Polizeibeamten, der Moos Aussage aufnimmt. Deswegen wird Moo nur mehr ignoriert. Wie sich bald zeigt, hat einer der Detectives eine Rechnung mit dem Angeklagten Vine offen und will ihn unbedingt für den Mord verantwortlich machen. Vine ist in diesem Fall tatsächlich unschuldig, jedoch für zig andere Drogengeschäfte, Handel am Schwarzmarkt und Morde verantwortlich. Das Dilemma nimmt nur langsam seine Züge an. Entweder Moo sagt die Wahrheit und sorgt dafür, dass ein eigentlicher Mörder wieder frei gelassen wird (und der Detective ihm das Leben zur Hölle macht) oder er lügt und geht damit das Risiko ein, von Vines Leute gefunden und mehr als nur getötet zu werden.

Ich hasse Brooks' Dilemmata. Sie bescheren mir Bauchschmerzen und lassen mich in einer Situation zurück, in denen ich genauso ahnungslos bin wie der Protagonist. Jedes Mal schätze ich mich glücklich, nicht in dieser Situation zu sein. Auch in diesem Werk hat Brooks wieder einmal bewiesen, wie unfair, kompliziert und verstrickt das Leben sein kann.
Interessant fand ich dieses Mal vor allem die Titelwahl und kam erst später dahinter, dass Moo die ganze Zeit davon spricht, dass es auf ihn „einregnet“, wenn die anderen Jugendlichen ihn mobben. Letztlich gebraucht Moo die Worte „Kissing the rain“ selbst und darauf möchte ich nun genauer eingehen. (Falls das Buch jemand gelesen hat oder noch lesen wird – eure Interpretationen würden mich ebenfalls sehr interessieren). Es beginnt damit, als Mädchen auf dem Schulhof ein Gespräch darüber führen, welche Sache grausamer wäre – Moo küssen oder seine eigene Scheiße essen. Es regnet wieder einmal auf ihn ein. Ein Mädchen erwidert, dass sie Moo einfach tötet, dann muss sie ihn weder küssen noch ihre eigene Scheiße essen. Sie ist dem Dilemma ausgewichen. Anfangs dachte ich, er verwendet das Wort Küssen, weil es darum ging (Moo küssen oder -) und Moo wusste auch nicht, warum er „Kissing“ nahm. Sich einem Dilemma zu stellen und einen Plan zu fassen hat nichts mit „Kissing“ zu tun. Auch jetzt bin ich noch der Meinung – es ist eine Metapher. Es wurde ein bildlicher Ausdruck verwendet, um die Phrasen „ein Dilemma lösen, sich einem Dilemma zu stellen“ zu ersetzen. Es entstand eine neue Bedeutung für das Wort „Küssen“ bei dem Vorfall mit den Mädchen, denn sonst könnte es keine Metapher sein. Es wirft die Frage auf, ob „Kissing the rain“ somit auch bedeutet, sich dem Mobbing entgegen zu stellen. Ich glaube, es bezieht sich nicht auf das Mobbing in der Schule, sondern auf das, welches er durch Vine und den Detective Callan erleiden muss.
Der Name „Moo“, eigentlich heißt er Michael, kam durch die Kuh und deren Laut „Muh“ zustande. Auch das englische Wort „Poo“ würde sehr gut dazu passen, immerhin wird Michael wie Scheiße behandelt. Der Fachbegriff wäre Neologismus – wenn aus mehreren (oder zwei) Wörtern ein neues Wort entsteht.
Der Verlauf der Geschichte fiel mir anfangs richtig schwer. Ich hatte das Gefühl, dass sich die Geschichte zog – im Nachhinein muss ich dem aber widersprechen, denn ich brauche immer etwas Zeit, um mit dem Schreibstil von Brooks klarzukommen und in die Leben seiner Personen einzutauchen. Er schreibt sehr flüssig, deutlich und kommt extrem schnell auf den Punkt. Für die Gedankengänge der Personen brauche ich meistens länger – nehme mir aber auch gerne dafür Zeit (siehe oben – Kissing the rain). Brooks interpretiert, meiner Meinung nach, sehr viel in Kleinigkeiten hinein und stellt damit meine Gedanken auf den Kopf. Beispiele dafür wären, wie genau er Tätigkeiten seiner Protagonisten beschreibt. Ob sie sich an der Nase kratzen, rülpsen oder pfurzen – dabei ist er sehr genau, jedoch führt er es nicht ins Endlose aus und lässt sehr viel Raum für Fantasie übrig. Das erste Mal kam mir sein Aufzählen bei „Candy“, später auch bei „Martyn Pig“ unter. Wenn er den Tagesablauf von Menschen erzählt, neigt er dazu, die Wörter einfach aneinander zu reihen. Bei Moo zum Beispiel erfuhr man nie etwas über den Unterricht, stattdessen schrieb er nur:
„Dann bin ich in der Schule und ich krieg noch mehr ab und der Tag geht weiter. Mathe, Englisch, Pause, Twix, Bio, Sex, Gekicher – Mittagessen – Kartoffelbrei, Bohnen, irgendwas Schweinefleischiges, Obstkuchen mit Vanillesoße zum Nachtisch. Schicht es drauf. Schicht es hoch. Schicht es rein.“
Ich finde, wenn man sich einmal an den Schreibstil von Brooks gewöhnt hat, kommt man sehr schnell voran. Das liegt vermutlich an den kurzen Sätzen – jedoch muss ich erwähnen, dass es Brooks kurze Sätze ziemlich in sich haben können. „Killing God“ und „Lucas“ haben meine Gedanken auf den Kopf gestellt und dafür gesorgt, mir Menschen genau anzusehen und nicht immer in Schubladen zu stecken. Vielleicht fand ich „Kissing the rain“ im Gesamten deswegen nicht so überwerfend hervorragend, weil ein grausames Dilemma bei Brooks nichts Neues ist. Falls ihr aber noch nie ein Werk von ihm gelesen habt, dann rate ich euch, mit „Killing God“, „Lucas“ oder „Kissing the rain“ anzufangen. Ich glaube, diese sind die meist grotesken und verzweifelsten Bücher von ihm. Falls ihr sie im englischen Original sucht, sollte nur „Killing God“ unter „Dawn“ zu finden sein. Denn soweit ich weiß, wurde der Titel in Amerika untersagt.
Zum Ende hin wurde es wie immer sehr spannend, obwohl Dilemmata und ärgerliche Höhepunkte Brooks‘ Spezialität sind, so unterschiedlich sind sie auch. Außerdem weiß man nie, ob eine Geschichte gut oder schlecht ausgeht. Brooks zeigt hier kein Muster oder Favoriten, weswegen der Ausdruck „Lebensausschnitte“ für seine Romane so hervorragend passt. Ich verrate euch das Ende natürlich nicht, aber wenn ihr mit diesem gerechnet habt, dann Respekt, denn ich wäre nie darauf gekommen.


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