Eine Hitzewelle lässt die Temperaturen in Indien auf weit über 50 Grad Celsius steigen, Millionen sterben, neben Menschen auch Kühe und Hunde – der Gestank ist grässlich. Eingetreten ist, was vorherzusehen war, doch niemand hatte die Klimabeschlüsse eingehalten. Man tat, was man immer schon getan hatte – man kümmerte sich um sich selber, die eigenen nationalen Interessen. „Es war leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus: Das alte Sprichwort hatte Zähne bekommen und war zur grausamen Realität geworden."
Der junge amerikanische Entwicklungshelfer Frank May, der diese Hitzewelle überlebt hat, wird mit PTBS, posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert. Die Ausführungen dazu wie auch zu den Behandlungsversuchen sind ausgesprochen realistisch: Das einzige Rezept dagegen ist nicht denken und nicht fühlen.
Das Ministerium für die Zukunft, obwohl ein Science Fiction, ist ein grundsätzlicher Text über unsere Welt und unsere Art zu leben, die, wenn man es recht bedenkt, absurder und gestörter kaum sein könnte. Dass man angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse den Menschen für ein vernunftgesteuertes Wesen halten könnte, kann nur vollkommen Durchgeknallten (die nichtsdestotrotz weit gescheiter sein können als der Durchschnitt) in den Sinn kommen, denn: „Es ist genug für alle da. Und aus diesem Grund sollte niemand mehr in Armut leben. Und es sollte keine Milliardäre mehr geben. Dieses Genug sollte ein Menschenrecht sein, eine Schwelle, unter die niemand fallen dürfte, und eine Obergrenze, über die niemand hinauswachsen kann.“ Wäre der Mensch vernünftig, wäre die Welt genau so wie hier beschrieben. Nur eben: Der Mensch verhält sich definitiv nicht vernünftig.
Es ist ein spannender und vielfältiger Ideen-Mix, der in diesem Werk abgehandelt wird. Die Themen-Palette reicht von „wer die Weltwirtschaft eigentlich inszeniert“ (definitiv nicht die Mehrheit) über die kognitive Verhaltenstherapie (die so einleuchtend ist, dass sie nur selten funktionieren kann) zur Angst, die sich nur schwer abschütteln lässt. So recht eigentlich werden so ziemlich alle derzeit gängigen gesellschaftlichen Themen abgehandelt: Ungleichheit, Raubbau an der Natur, Erderwärmung ... you name it.
Doch Autor Kim Stanley Robinson, im Unterschied zu ganz vielen, wenn nicht den meisten Autoren, setzt sich mit Wesentlichem auseinander. „So kann man oft erleben, dass Ungleichheit als wirtschaftliches Problem gesehen wird; bei grosser Ungleichheit, so heisst es dann, verlangsamen sich Wachstum und Innovation. Im Grund reduziert dieser Ansatz unser Denken auf eine neoliberale Analyse und Beurteilung der neoliberalen Verhältnisse. Es ist die Gefühlsstruktur unserer Zeit; wir können nur noch in ökonomischen Begriffen denken, unsere Ethik muss nach den Wirkungen unseres Handelns auf das BIP quantifiziert und bewertet werden (...) Allerdings ist es manchmal auch wichtig, dass wir diesen ganzen Komplex aus dem Bereich der Quantifizierung herausnehmen und ihn nach rein menschlichen und sozialen Kriterien bewerten.“ Nicht nur manchmal, immer!
Das Ministerium für die Zukunft hat seinen Sitz in Zürich. Wie alle UN-Behörden ist es zahnlos. An einer Party in Brissago – der Autor scheint die Schweiz aus eigener Anschauung zu kennen – wird einer der Gäste von einem Fremden erschlagen. Dann schwenkt die Handlung plötzlich zu einer wissenschaftlichen Tagung – es ist ein ziemliches Durcheinander, das Kim Stanley Robinson da präsentiert, doch es liest sich gut und anregend, dieses Nebeneinander von ganz Vielem. Neben der Migration (der Autor stellt den Schweizer Behörden ein gutes Zeugnis aus für die Behandlung der Migranten) kommt auch das jährliche Elite-Treffen in Davos vor, womit die Schweiz „ihre Position als eines der reichsten Länder der Erde festigen kann, obwohl dieser Wohlstand eigentlich durch nichts begründet ist. Vielleicht durch die Schönheit der Alpen und die Intelligenz der Menschen – beides erscheint mir zweifelhaft.“
Frank May fühlt sich angesichts der Klimakatastrophe ohnmächtig und will etwas dagegen tun. Doch die indischen Aktivisten, denen er sich anschliessen will, wollen ihn nicht, für sie ist ein Repräsentant des ehemaligen Empires. Und so macht er sich in die Schweiz („einem der bestüberwachten Länder der Welt“) auf, wo er Mary Murphy, die Leiterin des Ministeriums für die Zukunft, zwingt, ihn anzuhören. Was kann man tun, wenn man genau sieht, worauf wir zusteuern?, ist keine Frage mehr, die auf die gewohnte Art und Weise (dem Gesetz ist Folge zu leisten, Kompromisse müssen gesucht werden) beantwortet werden kann.
Mary Murphy, zwar irritiert durch den emotional durchgeschüttelten Frank May, geht den üblichen Weg der differenzierten, wohlmeinenden Bürokraten – und versucht es mit Überzeugungsarbeit, was so einleuchtend wie naiv ist, denn die Leute, die die Macht des Geldes hinter sich wissen, können über soviel Ignoranz nur den Kopf schütteln. Marys Treffen mit Vertretern der Europäischen Zentralbank schildert Kim Stanley Robinson so: „Allesamt gebildete, intelligente, höfliche und arrogante Männer. Ihre Haltung gegenüber Mary war in höchstem Masse abschätzig. Zum einen war sie die Leiterin einer Behörde ohne Finanzkraft und mit nur geringem Einfluss; zu anderen war das Ministerium bloss ein idealistisches Feigenblatt, das ausserordentliche Anstrengungen vorspiegeln sollte, die in Wirklichkeit gar nicht unternommen wurden.“
Dass wir auf eine vorhersehbare Katastrophe zusteuern, liegt hauptsächlich an unserem Denken, das wir der Ökonomie untergeordnet haben, die sich an Effizienz und Profit orientiert. Vonnöten wäre allerdings eine ganz andere Ausrichtung: „Gut ist, was gut für die Biosphäre ist.“ Zudem: Dass wir unter Wahrnehmungsirrtümern leiden ist bekannt, weniger bekannt sind unsere Denkfehler – so unterliegen wir etwa der Neigung, bei einer ersten Einschätzung oder Information zu bleiben; auch halten wir verständliche Erklärungen für wahrscheinlicher.
Das Ministerium für die Zukunft lehrt einen unter anderem auch, dass fast alles, was die Welt so am Laufen hält, wie sie ist, im Geheimen geschieht. Und auch, was diese Welt zum Einsturz bringen kann, geschieht abseits der Öffentlichkeit. Mit anderen Worten: Was öffentlich debattiert wird, ist immer eine Ablenkung.
Privatflugzeuge fallen vom Himmel; eine Sturzflut begräbt Los Angeles und die Leute sagen zueinander: „Der ganze Mist hier ist kaputt! Das muss alles abgerissen werden! Wir müssen die ganze Stadt neu aufbauen. Ich fand das grossartig. Vielleicht konnten wir es diesmal richtig machen.“
Mit Das Ministerium für die Zukunft ist Kim Stanley Robinson nicht nur eine eindrückliche und beklemmende Gesamtschau der wirklich wichtigen Probleme unserer Zeit gelungen, sondern auch eine Vision davon, wie das Vermeiden der Katastrophe möglich wäre.